Auf der anderen Seite

1-dsc_0421Früher war Ada Colau eine Aktivistin gegen Zwangsräumungen, seit vier Monaten ist sie die Bürgermeisterin von Barcelona
Es ist eine neue Rolle für Ada Colau. Früher machte sich die heute 41jährige einen Namen als unermüdliche Aktivistin gegen Zwangsräumungen von Wohnraum und für eine sozial gerechte Stadt. Seit dem 13. Juni ist sie nun Bürgermeisterin von Barcelona und steht bei vielen dieser und ähnlicher Konflikte auf der anderen Seite.

Symbolisch hat sich bereits viel bewegt in der 1,6 Millionen Einwohner zählenden Metropole. So erklärte Colau die Stadt zu einem Aufnahmeort für Flüchtlinge – ein deutlicher Protest gegen die Abschottungspolitik der spanischen Zentralregierung. Am vergangenen Donnerstag informierte sie sich in Leipzig bei Bürgermeister Burkhard Jung (SPD) und Bürgerinitiativen über die Erfahrungen bei der Aufnahme von Schutzsuchenden.

Die von der »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP) gestellte linke Opposition kritisiert jedoch bereits, dass Colau ihre Politik vor allem auf Medienwirkung ausrichtet. Sie verspiele so die Chance auf reale soziale Veränderungen. Allerdings steht die Bürgermeisterin einer Minderheitsregierung vor. Ihr Bündnis Barcelona en Comú (BeC, Barcelona gemeinsam), ein Zusammenschluss von Podemos, der linksgrünen ICV und der Vereinigten Linken EuiA, war bei den Kommunalwahlen im Mai zwar mit elf von 41 Abgeordneten stärkste Kraft geworden, braucht jedoch die Unterstützung anderer Parteien wie der CUP, der sozialdemokratischen PSC und der linksliberalen Republikanischen Linken ERC. So sind spürbare Schritte zur Umsetzung von Wahlversprechen schwer durchsetzbar.

Kurz nach ihrem Amtsantritt sorgte Colau für Schlagzeilen, als sie den Rückzug der Kandidatur Barcelonas für die Olympischen Winterspiele 2026 bekanntgab. Von dem Mammutprojekt hatten sich die Wintersportorte in den Pyrenäen ein Aufleben des Tourismus erhofft. Trotz ihrer Proteste wurde das Vorhaben eingestampft. Das war ein erster Erfolg der neuen Verwaltung. Eine Niederlage gab es dagegen bei dem Versuch, die Diäten der Stadträte um 15 bis 27 Prozent zu senken. Außer den Vertretern der CUP, die bereits freiwillig ihre Bezüge auf einheitlich 1.600 Euro gesenkt und sozialen Projekten den Rest zur Verfügung gestellt hatten, votierten alle anderen Parteien dagegen. Nach der Wahl im Juni haben auch die BeC-Abgeordneten beschlossen, ihren Lohn auf 2.200 Euro zu reduzieren und die Differenz ebenfalls sozialen Einrichtungen und Initiativen zukommen zu lassen.

Die Realisierung eines weiteren Wahlversprechens, die Schaffung sozialen Wohnraums, musste aufgrund fehlender finanzieller Mittel auf die lange Bank geschoben werden. Auch ein Ende der Zwangsräumungen ist nicht in Sicht. Das führt zu häufigen Protesten der »Plattform gegen Zwangsräumungen« (PAH), deren Vorsitzende Colau vor ihrer Politikerkarriere war. Beim Kampf gegen die Kinderarmut konnte die Stadtregierung für den Mittagstisch an Schulen und Kindergärten 2,8 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das reicht allerdings nicht, um allen armen Kindern täglich ein warmes Mittagessen zu garantieren. Deshalb will BeC künftig die Subventionen von Sportevents wie der »Formel 1« in Montmeló bei Barcelona sowie Werbeverträge streichen und die so gewonnenen neun Millionen Euro in soziale Projekte stecken.

Für den Leerstand von Wohnraum wurden gegen mehrere Banken Strafen in Höhe von 5.000 Euro verhängt – ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch eine angekündigte Fahrpreissenkung fiel aus, weil der öffentliche Nahverkehr zu 51 Prozent von der katalanischen Regierung kontrolliert wird.

Auch der zentralen Forderung von Bürgerinitiativen, den Tourismus einzuschränken, wurde bisher nicht nachgekommen. Zwar wurden mehrere Hotelprojekte vorläufig auf Eis gelegt, vor allem aber konzentriert sich die Politik auf Touristenunterkünfte in Privatwohnungen. Den bisher 300 sanktionierten Eigentümern solcher illegalen Ferienwohnungen wurde inzwischen angeboten, die Strafe um 80 Prozent zu senken, wenn sie sich verpflichten, ihr Eigentum für drei Jahre als Sozialwohnungen zur Verfügung zu stellen.

Das größte Problem für Barcelona ist allerdings der Kreuzfahrttourismus. So erreichte die Zahl der Passagiere, die an einem einzigen Tag in Barcelona landeten, im September mit 28.000 ihren vorläufigen Höhepunkt. Die auf diesen Tourismus abgestimmte Umstrukturierung des Stadtteils Poble Sec stößt auf wachsenden Widerstand der Anwohner. Der fand seinen Ausdruck bereits in zahlreichen Protesten und Sabotageaktionen.

veröffentlicht in jw am 13_10_2015