Erster Tag der Republik

Foto: Mela Theurer

Kataloniens Regierung will sich von Madrid nichts mehr sagen lassen

Die Reaktionen auf die Ausrufung der Republik Katalonien am vergangenen Freitag ließen nicht lange auf sich warten. Fast zeitgleich zur Abstimmung über die einseitige Unabhängigkeitserklärung im Parlament von Barcelona beschloss der Senat in Madrid mit 214 gegen 47 Stimmen die Anwendung des Verfassungsartikels 155 und damit die seit Monaten angedrohte Aussetzung der Autonomie Kataloniens. Noch am selben Abend kam der Ministerrat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, um konkrete Zwangsmaßnahmen festzulegen. Im Anschluss verkündete der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy die Absetzung derkatalanischen Regierung und die Auflösung des Regionalparlaments bekannt und setzte für den 21. Dezember Neuwahlen an. Seine Stellvertreterin Soraya Saénz de Santamaria ernannte er zur neuen Chefin der katalanischen Regierung. Sie steht an der Spitze von elf spanischen Ministerien, die ab dem heutigen Montag die Aufgaben der Generalitat de Catalunya übernehmen sollen. Das werde, so die rechte Tageszeitung ABC, »mit Vorsicht und Normalität« vonstatten gehen. »Zunächst soll die Bereitschaft zur Kooperation geprüft und nur bei Bedarf entsprechend interveniert werden.«

Nach Angaben von ABC gab es bereits seit April dieses Jahres Zusammenkünfte zwischen Staatssekretären und Vertretern der verschiedenen Ministerien, um über die Zwangsmaßnahmen zu beraten. Zu diesen gehören die Abschaffung des katalanischen Außenministeriums sowie die Schließung der Auslandsvertretungen der Generalitat mit Ausnahme des Brüsseler Büros.

Abgesetzt wurde auch der Leiter der katalanischen Polizei Mossos d’Esquadra, Josep Lluís Trapero. Gegen ihn hat die spanische Justiz ein Ermittlungsverfahren wegen der Rolle der Regionalpolizei während des Referendums am 1. Oktober eingeleitet. Madrid wirft den Mossos vor, der Nationalpolizei und der Guardia Civil das gewaltsame Vorgehen gegen die Wähler überlassen und sich der angeordneten Beschlagnahmung der Urnen widersetzt zu haben.

Auch dem Präsidenten der Generalitat, Carles Puigdemont, droht eine Anklage wegen Rebellion, worauf nach dem spanischen Strafgesetz bis zu 30 Jahre Haft stehen. Der Jurist Elpidio José Silva sieht dafür allerdings keine Grundlage, da der Tatbestand der Gewaltanwendung nicht gegeben sei. Gegenüber dem katalanischen Sender TV 3 kritisierte er zudem die Anwendung des Artikels 155. »Es ist absolut falsch, mit Gewalt auf einen politischen Konflikt zu reagieren«, erklärte er.

Das katalanische Kabinett lässt sich von den Maßnahmen Madrids offenbar nicht beeindrucken. In seiner ersten Ansprache nach der Ausrufung der Republik verkündete Puigdemont am Sonnabend, er werde die Entscheidung der Zentralregierung nicht akzeptieren. »In einer Demokratie ist es das Parlament, das den Präsidenten wählt und absetzt.« Er rief zu einer gewaltfreien und demokratischen Opposition gegen die Aggression durch den Artikel 155 auf. Sein Stellvertreter Oriol Junqueras bekräftigte in einem Beitrag für die Tageszeitung El Punt Avui: »Wir werden den antidemokratischen Staatsstreich gegen Katalonien nicht hinnehmen und uns nicht dem Mandat Madrids unterordnen. Carles Puigdemont ist und bleibt der Präsident.« Gleichzeitig sprach er sich für eine gemeinsame Verteidigung der demokratischen Werte aus, wie sie Albano-Dante Fachin, Vorsitzender der Linkspartei Podemos in Katalonien, vorgeschlagen hatte. Dieser hatte gegenüber Catalunya Ràdio erklärt: »Wenn es keine gemeinsame Strategie gibt, die auf der Höhe dessen ist, was sich hier auf den Straßen abgespielt hat, wäre es ein Verrat am Geist des Referendums vom 1. Oktober.«

Inzwischen macht die Rechte weiter mobil. Am Sonntag demonstrierten unter dem Motto »Wir alle sind Katalonien« rund 300.000 Menschen – so die Schätzung der Stadtpolizei Guàrdia Urbana – in Barcelona gegen die Unabhängigkeit Kataloniens. Die Organisatoren sprachen sogar von 1,3 Millionen Teilnehmern. Hinter dem Leittransparent marschierten einträchtig führende Politiker von Rajoys PP, der sozialdemokratischen PSOE und den rechtsliberalen »Ciudadanos«. Zu den Rednern auf der Abschlusskundgebung gehörte der ehemalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE), Francisco Frutos. Ein sehr breites Bündnis: Hinter der »Katalanischen Zivilgesellschaft« (Societat Civil Catalana), die den Aufmarsch organisiert hatte, steht die Organisation »Somatemps«, die von den Mossos d’Esquadra als rechtsextrem eingestuft wird. Auch Anhänger neofaschistischer Gruppierungen wie Vox, Falange, Alianza Nacional und anderen beteiligten sich ungehindert an der Kundgebung. Politiker der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) und der Kandidatur der Volkseinheit (CUP) nahmen das zum Anlass, speziell die Sozialdemokraten darauf hinzuweisen, dass man das nicht vergessen werde, wenn es künftig wieder um Formen der Zusammenarbeit gehe.

Schon am Freitag abend hatten mehrere hundert Neofaschisten die Zentrale von Catalunya Ràdio angegriffen, Scheiben eingeschlagen und Mitarbeiter des Senders bedroht.

veröffentlicht in jw_am 30_10_2017