Ein anderes Buchgeschenk zum Sant-Jordi-Tag: Mamadou Dia hat die Geschichte seiner Flucht nach Europa aufgeschrieben
Jährlich beeilen sich Autoren und Verlage, pünktlich zum Sant-Jordi-Tag, an dem man sich in Katalonien traditionell Bücher und Rosen schenkt, ihre neuesten Werke auf den Markt zu bringen und so ein Stück vom Kuchen abzukriegen. Im vergangenen Jahr wurden aus diesem Anlass 1,6 Millionen Bücher verkauft.
»3.052 — Persiguiendo un sueño« (»Einem Traum folgend«) ist der Titel eines Buches von Mamadou Dia. Es wird wohl kein Renner auf der Bestsellerliste werden, doch das im vergangenen Jahr erschienene Buch ist aktueller denn je. Mamadou Dia hatte versprochen, seine Erfahrungen zu veröffentlichen, falls er die Reise vom Senegal nach Europa überleben sollte.
2006 erreichte sein Boot den europäischen Kontinent.
Mamadou Dia berichtet von seiner lebensgefährlichen Reise und den Erlebnissen nach seiner Ankunft in Europa. Bei einer Buchpräsentation im letzten April in Barcelona erläuterte er: »3.052 ist exakt die Zahl der Kilometer, die ich vom Senegal nach Murcia zurückgelegt habe, der Stadt, die mich als erste aufnahm, nachdem wir auf Gomera angekommen waren. Vor meiner Entscheidung, den gefährlichen Weg einer Überfahrt über das Meer auf mich zu nehmen, hatte ich zweimal versucht, beim französischen Konsulat ein Einreisevisum zu bekommen. Ich wollte in Frankreich mein Studium beenden.
Im Konsulat in Dakar hängt ein Schild, das darauf hinweist, dass auch das Erfüllen aller notwendigen Voraussetzungen keine Garantie für den Erhalt des Visums darstellt. Das teure Geld für die Bearbeitung und die Ausstellung der Dokumente gibt es aber auch bei einer Ablehnung nicht zurück.
Meine Motiviation, nach Europa zu kommen, war vielfältig. Einerseits hatte meine Mutter auf mich und meine Ausbildung gesetzt, nachdem Ende der 90er Jahre Senegal in eine ökonomische Krise gestürzt war. Ich sollte dazu beitragen, dass auch meine Geschwister eine gute Ausbildung bekämen. Zudem war in unserem Geschichtsbild der afrikanische Kontinent immer als unzivilisiert und unterentwickelt dargestellt worden. Ich wollte wissen, was europäische Zivilisation, Entwicklung und Wohlfahrtsstaat bedeuten. Dazu wollte ich nach Frankreich, in das Land, das Senegal kolonialisiert hatte, willkürlich Grenzen zog und uns seine Sprache aufdrängte. Doch während die Franzosen nach wie vor ungehindert in den Senegal reisen können, wurde mein Visumsantrag zweimal abgelehnt. So kam ich auf Spanien, das Land, das mit seinen Flotten Senegals Meeresgründe leergefischt und damit ganze Familien in den Ruin getrieben hat. Ich stellte mir die Überfahrt dorthin zwar hart vor und war mir der Risiken auch bewusst. Aber als wir am fünften Tag unserer achttägigen Reise in einen Sturm kamen, dachten wir alle, das ist das Ende. Aber wir hatten Glück. Obwohl wir ohne Wasser und Essen blieben, trieben uns Wind und Strömung weiter, bis wir ein anderes Boot kreuzten, das uns mit Benzin unterstützte.
Als wir dann doch Gomera erreichten, kam ein erneuter Schock. Beim Anblick der Personen, die uns in Empfang nahmen, hatte ich das Gefühl, Personal aus einem Atomkraftwerk gegenüberzustehen. Sie hatten weiße Anzüge, Helme und Handschuhe. Sie fragten, ob jemand englisch spreche, doch obwohl ich die Sprache beherrsche, brachte ich kein Wort heraus. Dann markierten sie mich mit einer Zahl zur Identifikation. Ich hatte keinen Namen mehr, ich war nur noch die Nummer 41. Sie hatten mich entmenschlicht, zu einem Objekt gemacht.
Die erste Flasche Wasser, die ich von Freiwilligen des Roten Kreuzes bekam, war für mich ein Lebenselixier. Das ermutigte mich, an meinem Projekt festzuhalten: das Buch zu schreiben, in mein Land zurückzukehren und mein Dorf ökonomisch und mit sozialen Projekten zu unterstützen. Ich war mit dem Glauben nach Spanien gekommen, ein Land zu betreten, das inzwischen demokratisch ist, in dem Menschenrechte respektiert werden und das über Werte wie Solidarität und über ein zivilisiertes Zusammenleben verfügt. Ich muss gestehen, dass ich mich in all diesen Punkten geirrt habe.«
Seither hat sich nichts geändert. Täglich machen sich Menschen auf den Weg, um Krieg, Hunger, Elend und Verfolgung zu entgehen. Sie riskieren dabei ihr Leben, um in die von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex abgeschirmte Festung Europa zu gelangen. Zehntausende Menschen überleben die Flucht nicht. Allein im letzten Jahr sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR mindestens 3.400 Menschen bei dem Versuch, europäischen Boden zu erreichen, im Mittelmeer ertrunken. Seit Anfang 2015 sind es schon fast 2.000 weitere Opfer.
Diejenigen, die es schaffen, nach Europa zu gelangen, werden durch die restriktive und rassistische Flüchtlingspolitik zu Illegalen erklärt und weiter verfolgt. Allein der spanische Staat unterhält acht Internierungs- und Abschiebelager für Migranten, über die Eröffnung eines neunten im andalusischen Algeciras wird noch diskutiert. Das gerade verabschiedete »Maulkorbgesetz« schränkt zudem nicht nur die Demonstrationsfreiheit in Spanien ein, sondern legalisiert auch die bisher rechtswidrigen Abschiebungen direkt bei Grenzübertritt in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla und die Gewaltanwendung bei Abschiebungen.
Mamadou Dia: 3.052 — Persiguiendo un sueño. Erschienen 2014 im Selbstverlag (spanisch), Bestellungen unter www.hahatay.org/3052
veröffentlicht in jw am 23_4_2015