In Barcelona haben Straßenhändler eine Gewerkschaft gegründet. Sie kämpfen für die Legalisierung ihrer Arbeit, gegen Rassismus und Polizeigewalt
Mitten auf Barcelonas Edeleinkaufsmeile, dem Passeig de Gracia, steht Pape Diop an seinem Arbeitsplatz. Er verkauft hier auf der Straße Barça-Trikots von Messi, Iniesta und Neymar. 2009 ist der Senegalese nach Barcelona gekommen, und seit zwei Wochen ist er Präsident sowie einer der acht Sprecher der neugegründeten Volksgewerkschaft der Straßenhändler, des »Sindicato Popular de Vendedores Ambulantes«.
»Unsere Arbeits- und Lebenssituation ist sehr hart«, beschreibt Diop die Beweggründe für sein Engagement. »Wir wollen eine Legalisierung unserer Tätigkeit und bessere Bedingungen«, sind die zentralen Forderungen.
Während unseres 15minütigen Gespräches müssen Diop und seine Arbeitskollegen zweimal ihre Bündel schnüren und in die U-Bahn flüchten, da Patrouillen der Stadtpolizei im Anmarsch sind. »Wenn uns die Polizei erwischt, nimmt sie uns unsere Ware weg. Das ist unser Eigentum, das wir rechtmäßig gekauft haben«, erklärt Diop. Im U-Bahnhof sind die Straßenhändler sicher, da die Beamten sie nicht dorthin verfolgen.
Trotz der Polizeipräsenz zeigen sich sowohl Diop wie auch seine Kollegen wenig aufgeregt, denn in den vergangenen Wochen hat sich die Situation merklich entspannt. Das war jedoch auch unter der seit vier Monaten amtierenden Regierung des Linksbündnisses und deren Bürgermeisterin Ada Colau nicht immer so. Häufig mussten Aggressionen und rassistisches Verhalten der Stadtpolizei »Guardia Urbana« angeprangert werden. Schließlich verkündete Colau nach einer Knüppeljagd der Beamten, die mit Steinwürfen seitens der Händler beantwortet wurde, die rote Linie in Sachen Polizeigewalt sei überschritten. Zwar forderten die beiden stärksten Polizeigewerkschaften ihre Beamten auf, keine Toleranz walten zu lassen. Doch zwischenzeitlich geführte Verhandlungen mit dem Rathaus konnten das angespannte Klima entschärfen.
Für Diop ist die neugegründete Gewerkschaft eine große Errungenschaft. Er erhofft sich durch die Organisierung eine Stärkung der Arbeits- und Aufenthaltsrechte der unter prekären Bedingungen lebenden und arbeitenden Händler. Der entscheidende Anstoß zu ihrer Gründung kam nach den schwelenden Konflikten zwischen Polizei und Straßenhändlern von der selbstorganisierten Migrantenvereinigung »Espacio del Inmigrante« (Raum der Immigranten; jW). Am 10. Oktober wurde der Schritt vollzogen. Mehr als 100 Gruppen aus sozialen Bewegungen sind mit der Volksgewerkschaft assoziiert. Unter großer medialer Beachtung präsentierte diese ihre zwei Sprecherinnen und sechs Sprecher. Sie vertreten momentan die Straßenhändler, die im Alten Hafen und an der Passeig de Gracia der katalanischen Metropole tätig sind und gehören alle der senegalesischen Community bzw. Gemeinde an. »Die Tür ist aber für alle Nationalitäten offen«, betonte Diop gegenüber jW. »Es sind beispielsweise auch die Händler aus Pakistan bei uns willkommen, schließlich sitzen wir alle im selben Boot.«
Die Gewerkschaft hat sich die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen zur Aufgabe gemacht. Dabei fungiert sie als direkter Verhandlungspartner mit dem Rathaus, was besonders der prospanischen Oppositionspartei Ciutadans de Catalunya (Bürger Kataloniens; jW) ein Dorn im Auge ist. »Wir kaufen Ware und verkaufen sie. Das ist ein transparenter Prozess, und es steckt auch keine Mafia dahinter, wie immer wieder behauptet wird. Wir wollen keine Almosen, deshalb stehen wir hier. Unser Geld ist ehrlich und hart verdient«, so Diop.
Neben der Forderung nach einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für die Händler schlägt die Gewerkschaft konkret die Vergabe von Verkaufslizenzen vor. »Raus aus der Illegalität!« ist das Motto. »Schon seit Jahren sind wir ohne Rechte, werden kriminalisiert und verfolgt. Es bedarf dringend einer Lösung. Ich bin wie die meisten von uns nicht hierhergekommen, um auf der Straße zu verkaufen. Doch ohne Papiere gibt es keine Aufenthalts- und keine Arbeitserlaubnis«, beklagt Diop.
Die Gewerkschaft setzt zudem auf Aus- und Weiterbildungen und hofft auf die Unterstützung des Rathauses. Diese wurde den Straßenhändlern bereits zugesagt. Mit einem umfassenden Plan will die Minderheitsregierung von Ada Colau auf die Forderungen der Gewerkschaft reagieren, steht jedoch einer harten Haltung der rechten Oppositionsparteien gegenüber, die von einer Eingliederung der Illegalisierten in den Arbeitsmarkt nichts wissen wollen. »Wir haben fast alle eine Ausbildung. Könnten wir in unseren Berufen als Handwerker oder Mechaniker arbeiten, würde sich das Thema der Straßenverkäufer von selbst lösen«, ist Diop überzeugt. »Doch solange wir hier stehen müssen, wollen wir anerkannt sein, und dafür kämpfen wir.« Er ist optimistisch: »Mit unserer Organisierung haben wir einen längst überfälligen wichtigen Schritt aus der Vereinzelung getan. Jetzt heißt es kämpfen, um unsere Rechte durchzusetzen.«
veröffentlicht in jw am 3_11_2015