Nach Beschlagnahmung des Rettungsschiffes Open Arms durch die italienischen Behörden drohen Aktivisten der Flüchtlingsrettungsinitiative Proactiva sowie der Besatzung bis zu 15 Jahren Haft
Die Rettung von Menschenleben hat für die italienischen Behörden keine Priorität. Nachdem am 19. März das Flüchtingsrettungsschiff Open Arms im sizilianischen Pozzallo festgesetzt wurde, verschlechtert sich die Situation für die Flüchtlinge, die von Libyen aus versuchen nach Italien zu gelangen, dramatisch. Derzeit befindet sich mit der Aquaris, betrieben von SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen nur noch ein ziviles Rettungsschiff in diesem Gebiet, nachdem im letzten August bereits die von Jugend rettet betriebene Juventa beschlagnahmt worden war.
Der katalanischen Nichtregierungsorganisation Proactiva-Open arms, die nach eigenen Angaben insgesamt 59.000 Flüchtlinge gerettet hat, werfen die italienischen Behörden „Verletzung internationaler Abkommen und Gesetze“ sowie „kriminelle Machenschaften“ und „Begünstigung illegaler Einwanderung durch Zusammenarbeit mit Schleppern“ vor. Der Beschlagnahmung des Schiffes war ein Konflikt mit der libyschen Küstenwache vorausgegangen. Nach Angaben der Open Arms-Sprecherin Laura Lanuza war das Rettungsschiff am 15. März von der italienischen Küstenwache alarmiert worden, dass sich ein Flüchtlingsboot 73 Seemeilen vor der libyschen Küste befinde und Hilfe bräuchte. „Als wir dort ankamen rief uns die italienische Küstenwache erneut an. Wir sollten abbrechen, da die libysche Küstenwache die Hilfsaktion durchführen würde“, berichtete Lanuza. Als jedoch keine lybische Küstenwache in Sicht war, begann Open Arms mit ihrer Rettungsaktion. Lanuza weiter: „Plötzlich tauchte die libysche Küstenwache doch auf. Sie drohten, unser Schiff unter Beschuss zu nehmen, sollten wir die Frauen und Kinder nicht übergeben“. Òscar Camps, Gründer und Direktor von Proactiva erklärte dazu: „Die Flüchtlinge weigerten sich jedoch, die libyschen Boote zu besteigen und nach zweieinhalb Stunden intensiver Verhandlungen konnten wir abziehen.“ Damit begann jedoch die Odyssee der Open Arms, mit 216 Flüchtlingen an Bord. Italienische Häfen verweigerten dem Schiff die Einfahrt. Nachdem in Malta ein Frau und ihr Neugeborenes an Aquaris übergeben werden konnte, ließen die Behörden das Schiff schließlich in Pozzallo anlegen, wo Staatsanwalt Zuccero dessen Beschlagnahmung anordnete. Sämtliches Videomaterial von der Rettungsaktion musste an die italienischen Behörden ausgehändigt werden. Kapitän Reig und die 18 Besatzungsmitglieder haben beschlossen, die Insel nicht zu verlassen. Der Organisation Proactiva droht ein Ermittlungsverfahren mit einer möglichen Haftstrafe bis zu 15 Jahren. Konkret wird derzeit gegen Kapitän Mark Reig und die Einsatzkoordinatorin Anabel Montes ermittelt, beide sind von drei Jahren Gefängngis und einer Strafe von je 15.000 euro bedroht.
Seit Italien im Sommer 2017 eine Vereinbarung mit der libyschen Küstenwache abgeschlossen hat, kommen weitaus weniger MigrantInnen an der italienischen Küste an. Viele Menschen, die auf seeuntüchtigen Booten die Flucht nach Europa wagen, werden bereits in libyschen Hoheitsgewässern gestoppt und in das zerrüttete Land zurückgebracht, was von Hilfsorganisationen unter anderem Proactiva kritisiert wird. Die libysche Regierung hat inzwischen eigenmächtig eine eigene Such- und Rettungszone im Mittelmeer von 74 Seemeilen ausgerufen, was rechtlich umstritten ist.
Òscar Camps trat am vergangenen Dienstag vor die Europakammer, um über die Kriminalisierung seiner Organsiation zu informieren und einen Lagebericht vorzulegen.
Laut Camps sind in diesem Korridor in den letzten drei Jahren zwischen 10.000 und 11.000 Menschen ums Leben gekommen. Die Überfahrt wagen 94.000 Boote pro Jahr, 250 am Tag und 10 pro Stunde, dabei werfen die Schlepper die Menschen oft ins Meer, damit sie von Booten gerettet werden. Von den elf Rettungsschiffen, die im Jahr 2016 dort noch im Einsatz waren, operiert jetzt lediglich noch die Aquarius. „Das ist eindeutig zu wenig!“ so Camps. Er sieht im Vorgehen der Behörden eine Wandel der europäischen Flüchtlingspolitik auch in Italien. „Nicht mehr die Rettung steht im Vordergrund. Die MigrantInnen sollen erst gar nicht mehr ankommen und falls ja, sofort zurückgebracht werden.“ Die Beschlagnahmung und Ermittlung sieht Camps als Versuch, die Nichtsregierungsorganisation zu zerstören. „Wir müssen an einer Einstellung der Ermittlung und der Herausgabe des Schiffes arbeiten,“ so Camps. „Täglich fallen Kosten von 4000-5000 euro an und das, wo die Spenden im letzten Jahr deutlich zurückgingen. “