Diego Arcos ist Sekretär des Casal Argentí Barcelona und Mitinitiator der „Querella Argentina contra el franquismo“, einer Sammelklage gegen die Verbrechen des Franquismus, mit der sich inzwischen der höchste argentinische Gerichtshof befasst. Mela Theurer sprach mit ihm im November 2016 über die Hintergründe der „Querella“, sowie über den konkreten Fall von Gustau Muñoz, der 1978 mit 16 Jahren auf einer Demonstration von einem Polizisten erschossen wurde. Dessen Familie hat nun beschlossen, sich der Klage anzuschließen.
Was war der Hintergrund für die Initiative eine Sammelklage gegen die Verbrechen des Franquismus an einen Gerichtshof in Argentinien zu bringen?
Am 14. April 2010, dem Jahrestag der Republik materialisiert sich die Idee der Querella Argentina, nachdem viele Opfer des Franquismus in Argentinien nach dem Betrug der Initiative des Richters Garzóns frustriert waren. Sie hatten in seine Initiative Hoffnung gesetzt, Dokumente zusammengetragen und präsentiert und das Alles blieb letztendlich ohne Erfolg. Anhand dieser Erfahrung entschied sich der 93 jährige argentinische Staatsbürger Dario Rivas, in die Jusitz seines Landes zu vertrauen und wandte sich an den höchsten argentinischen Gerichtshof. Da es sich in seiner Eingabe um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt, war die höchste gerichtliche Instanz dafür zuständig, der argentinische Bundesgerichtshof der ersten Instanz. Die zuständige Richerin Maria Romilda Servini de Cubria ist bekannt für ihre Entschlossenheit und Kohärenz. Sie leitete viele Gerichtsverfahren: Entschädigungsforderungen der jüdischen Gemeinde gegen deutsche Naziverbrecher in Argentinien und hat von daher sehr viel Erfahrung in komplexen Angelegenheiten. Zunächst teilte die Richterin Dario Rivas mit, seinen Antrag vorerst nicht zu verfolgen, da sie dies ausserhalb ihres Kompetenzbereichs betrachte. Mit dieser Ablehnung bezweckte sie eine Debatte darüber, ob der argentinische Gerichtshof eine solche Strafverfolgung annehmen könne. Nach einem Jahr der Moblilisierungen auf verschiedenen Ebenen, bei der 19 Organisationen wie der Großmütter und Mütter de Plaza de Mayo, Kindern der Verschwundenen, der jüdisches Komitee gegen die Straffreiheit, von diversen Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften inklusive der argentinischen Kirchner-Regierung mitgewirkt hatten, bekam die Richterin grünes Licht. Natürlich gibt es diese juristische Seite, doch dahinter verbirgt sich in Wirklichkeit ein politische. Das Konglomerat aus Menschenrechtsverletzungen und politischer Verfolgung für viele im doppelten Sinne. Es gibt Fälle von Personen, die ich teilweise persönlich kenne, nämlich von EmigrantInnen, die der Nazi-Diktatur in Deutschland oder Österreich entkommen und nach Argentinien geflohen sind, um dann während der argentinischen Militärdiktatur ihre Kinder oder Enkel zu verlieren. Argentinien war das erste Land in der Geschichte, in dem die Menschenrechtsorganisationen die nötige Stärke zeigten, um sich gegen eine historisch scheinende Straffreiheit zu stellen. Der grösste aller Siege war, dass Videla als Krimineller verurteilt im Knast starb, umgeben von anderen Kriminellen. Dies ist der poltische Hintergrund auf dem die Querella nach Argentinien getragen wurde. Der juristsche Part ist dass die Menschenrechtskomission der Vereinten Nationen, die bis dato keine Antwort auf die durch den Franquismus begannen Verbrechen gegeben hatte, in diesem Moment einen jüdisch-argentinischen Anwalt zum Berichterstatter des Büros der Personen, die unter Gewalteinwirkung verschwunden sind, wählt. Dieses Büro bringt in die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution ein, die einstimmig verabschiedet wird und in der die Verbrechen des Franquismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet werden. Lediglich die USA, Kambodscha, Chile und Spanien stimmen nicht dafür. Sie stimmen auch nicht dagegen, sie verlassen einfach die Versammlung. Nun gibt es keine höhere Instanz und die Querella nimmt weiter Form an. Zeugen und Opfer machen ihre Eingaben. Dies geht soweit, bis die Richterin in der argentinischen Botschaft in Madrid 28 Personen zur Befragung vorlädt. Diese Personen stehen in Zusammenhang mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gelten somit laut Definition der Vereinten Nationen als Staatsterroristen. Alle Unterlagen dazu werden nach Madrid geschickt und es wird eine Vorladung dieser Personen präsentiert. Just an dem Tag, für den die Befragung angesetzt ist, kommt es im gesamten Botschaftsgebäude rein zufällig zum Stromausfall. Die Sache ist jedoch nicht so einfach vom Tisch, da es sich, da es sich um ein internationales Gesuch handelt, das an die spanische Regierung gestellt wurde. Diese, vertreten durch den Ministerpräsidenten Mariano Rajoy und abgesichert durch den spanischen König Juan Carlos, entscheiden, dass sie dem Gesuch nicht nachgeben werden. Anlässlich dieser diplomatischen Agression entscheidet die Richterin, dass zukünftig alle argentinischen Botschaften und Konsulate weltweit Anträge und Dokumente in Zusammenhang mit der Sammelklage aufnehmen werden.
Welchen Umfang hat die Klage derzeit?
Die Sammelklage begann mit dem Fall einer Person, dessen Vater durch die Falange ermordert worden war und mit dem zweier Schwestern, deren Grossvater verschwunden war. Es schloss sich eine Familie an, denen zwei ihrer Kinder weggenommen wurden. Im Moment gibt es mehr als 4000 Akten. Es gibt Anzeigen von Gewerkschaften, auch wir als Casal Argentí haben mehrere Eingaben gemacht von argentinischen Staatsbürgern, die Opfer der Respression geworden sind. Es fallen also ganz unterschiedliche Fälle darunter. Man kann sich als Opfer, Angehöriger oder ZeugIn melden. Sei es, um einen Leichnam aus einem Massengrab zu identifizieren, oder ein illegal adoptiertes Kind wiederzufinden oder weil man in irgendeiner Art ZeugIn oder Opfer einer Repression wurde. Eine wichtige Angelegenheit ist auch die Frage der Zwangsarbeiter. Sie wurden gezwungen für Firmen wie Seat zu arbeiten, in denen der Fiat 600 hergestellt wurde. Die Füllmaterialien der Innenausstattung bestanden aus Haaren von jüdischen Menschen aus den Konzentrationslagern. Politische Gefangene waren bis 1964 als Sklavenarbeiter für den Corte Ingles und mussten dort Uniformen für das Militär und die Guardia Civil herstellen. All das muss man nicht beweisen, da es bereits dokumentiert ist. Endesa, Fecsa, Corte Ingles, Seat, diverse Baukonzerne die heute Florentino Peréz gehören, all diese müssten Entschädigungszahlungen leisten. Die argentinische Sammelklage hat vorallem eine humane Komponente. Es gibt Personen, die schreckliche Verbrechen begangen haben und dafür bisher nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Und dann gibt es die Opfer, die keine Gerechtigkeit erfahren haben und Bilder vor Augen haben, wie jene Frau, die mitansehen musste, wie ihre Mutter mit dem kleinen Bruder auf dem Arm erschossen wurde. Dadurch, dass die Fälle aufgerollt und öffentlich werden, bekommen die Täter Namen und Gesichter und die Opfer werden nicht mehr individualisiert sondern sehen sich in einem historischen Kontext, der sich langsam zu einem Ganzen zusammenfügt. Es ist zwar keine grosse Sache, aber immerhin haben wir erreicht, dass 28 namentlich bekannte Kriegsverbrecher den spanischen Staat nicht verlassen können, weil ein internationaler Haftbefehl gegen sie vorliegt. Für uns als Teil des Casal Argentí, war immer die Menschenrechtsfrage von grosser Bedeutung. Wir haben alle Angehörige, die in Argentinien von Repression betroffen waren. In meinem Falle war es meine Lebensgefährtin, im Falle von Sebastian Fischer, der die Menschenrechtsabteilung leitet, war es sein Vater, der von argentinischen Militärs ermordert wurde. Wir kommen also bereits aus dieser Bewegung. Ich habe während der gesamten Diktatur in Menschenrechtsorganisationen gekämpft und bin jetzt sehr froh, meine Erfahrungen mit nach Katalonien gebracht zu haben. Ich habe bezüglich der Sammelklage den Fall eines Argentiniers eingebracht, der im Camp de la Bóta (Ehemaliges Arbeiterviertel in der Nähe von Barcelona) und eine Anzeige gegen den König als politischer Verantwortlicher der Kontinuität der franquistischen Funktionsinhaber. Das ist unsere Form, hier in der katalanischen Gesellschaft zu intervenieren, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Und wir bringen in diese Gesellschaft die Erfahrung einer Menschenrechtsbewegung mit ein, die etwas erreichen konnte. Die Tatsache, dass sich eine ehemalige Kolonie, ein Dritte-Welt-Land wie Argentinien gegen ein Land der sogenannten Ersten Welt stellt, wie das Spanien nun einmal ist, ist ein von Bedeutung. Ich erinnere mich an ein Interview mit dem republikanischen Abgeordneten Joan Tarda. Er sagte: “Verstehen Sie, warum wir Spanien verlassen wollen? In diesem Land gibt es nicht einmal für die Toten Gerechtigkeit.”
Zuletzt hat sich die Familie von Gustau Muñoz entschieden, sich der Klage anzuschließen. Die Besonderheit dieses Falles liegt darin, dass er nicht mehr in die Ära des Franquismus fällt. Warum wurde er dennoch mit aufgenommen?
Der Fall von Gustau Muñoz hat symbolische Bedeutung. Es handelt sich in diesem Fall um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das unter einer gewählten Regierung von Suárez stattfand. Es gibt in Argentinien einen Präzidenzfall dazu. 142 Staatsterroristen wurden in Cordóba wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt, ebenso wurden Verbrechen, die unter der gewählten Regierung von Isabel Perón begangen wurden, verurteilt.
Gustau Muñoz wurde drei Monate vor in Kraft treten der spanischen Verfassung erschossen. Die Diktatur war also schon drei Jahre zu Ende. In dieser Zeit war die Repression jedoch fast genauso stark wie zuvor. Und wir dürfen nicht vergessen, dass der gewählte Präsident Suárez ein Franquist war. Die Eingabe, die wir gemacht haben, in der Hoffnung dass der Fall von Gustau Muñoz in die Sammelklage aufgenommen wird, bittet um Verlängerung aus diesem Grund. Der Zeitpunkt der franquistischen Verbrechen soll um drei Jahre, bis zum 6. Dezember 1978, also bis zur Verabschiedung der Verfassung erweitert werden. Der König Juan Carlos war in dieser Zeit Staatsoberhaupt. Es verwundert deshalb nicht, dass der spanische Staat, d.h. sowohl die PP-Regierung als auch das Königshaus nicht nur die Mitarbeit verweigert, sondern dagegen vorgeht. Dies bedeutet, dass Argentinen es mit Sicherheit nicht erreichen wird, dass der spanische Staat die Angeklagten ausliefert. Es gibt dann zwei Möglichkeiten. Entweder die Klage wird zu den Akten gelegt oder vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag gebracht. Dort ist die derzeitige Generaltaatsanwältin ist eine argentinische Richterin aus Cordóba. Wenn nun die Richterin Servini de Cubria entscheidet, die Sammelklage nach Den Haag zu bringen, können keine weiteren Anträge mehr aufgenommen werden. Wichtig ist deshalb die Sammelklage in einen internationalen Kontext zu stellen: In den der internationalen Brigaden. Im spanischen Staat gibt es viele nichtidentifizierte Leichname in den Sammelgräbern. Angehörige können sich der Querella Argentina anschliessen, sie müssen dazu einen Antrag einbringen in der argentinischen Botschaft oder dem Konsulat ihres jeweiligen Landes.
Ein Artikel dazu erschien in der jungen welt
veröffentlicht in jw am 23_11_2016
Interiew mit Marc Muñoz, veröffentlicht in vilaweb, 6_11_2016
Querella_angenommen_vilaweb_23_12_2016
veröffentlicht in webseite casal argentino am 26_12_2016