Katalonien: Eine katholische Nonne mischt sich in die Politik ein. Ein Gespräch mit Teresa Forcades
Teresa Forcades ist Medizinerin und Theologin. Im Alter von 30 Jahren trat sie 1997 in das Benediktiner-Kloster von Montserrat in Katalonien ein.
Sie gelten als Vertreterin einer feministischen Theologie – was müssen wir darunter verstehen?
Ich sehe es als fundamental an, dass die Texte der Bibel nicht wörtlich ausgelegt werden, sondern interpretierbar bleiben. Nur so öffnen sich Wege zur Abschaffung der patriarchalen Strukturen innerhalb der Kirche, eine der dringendsten Angelegenheiten, die einhergeht mit der Aufhebung des Klerikalismus.
Dabei geht es um konkrete Inhalte.
Wir haben in der Politik mit der früheren britischen Premierministerin Margret Thatcher ein prägnantes Beispiel dafür, dass allein die Tatsache, dass eine Frau an der Macht ist, keine Verbesserung bringt. Positiver Wandel hin zu sozialer Gerechtigkeit erfolgt immer von der Basis aus. Das bedeutet, dass wir uns alle als handelnde politische Subjekte sehen und als solche agieren müssen – zum Beispiel gegen die Homophobie innerhalb der Kirche. Homosexualität und Transsexualität müssen als etwas Normales gelten, ich spreche gern von der »Queer-Theologie«.
Welche Reaktionen gab es auf Ihre Äußerungen und Initiativen?
Meine Erklärungen zur Entkriminalisierung der Abtreibung haben mir innerhalb der Kirche sehr viel Kritik eingebracht. Ich habe auch viel Druck von Pharmakonzernen bekommen, nachdem ich die Impfkampagnen gegen die Grippe A und den Papilloma-Virus kritisiert hatte. Die Firmen haben alle Hebel genutzt, um mich mundtot zu machen. Zum Beispiel wurde Kongressen, zu denen ich eingeladen war, die Finanzierung entzogen, oder sie wurden sogar abgesagt.
Als Mitbegründerin der Partei »Procés Constituent«, die der griechischen Syriza nahesteht, haben Sie öffentlich deren Koalition mit der rechtspopulistischen Anel verteidigt. Haben Sie keine Schwierigkeiten mit deren reaktionärer Flüchtlings- und Sozialpolitik?
Syriza haben nur drei Sitze zur absoluten Mehrheit gefehlt, deshalb musste die Partei ein Bündnis eingehen. Ich sehe diesen Pakt mit Anel als strategische Entscheidung, auf ökonomischer Ebene gibt es eine Übereinkunft. Ich könnte es natürlich nicht akzeptieren, wenn Syriza in sozialen Fragen Abstriche machen oder plötzlich die Homosexualität verurteilen würde. Syriza ist in einer Position der Stärke, und diese Allianz wird meiner Auffassung nach ihren Kurs nicht ändern.
Haben Sie nicht ähnliche Ziele wie die CUP, die »antikapitalistische Kandidatur für die Volkseinheit«? Warum also eine neue Partei?
»Procés Constituent« steht für einen historischen Moment, in dem über die Zukunft Kataloniens entschieden wird. Für viele Menschen ist jedoch die Perspektive einer bloßen Unabhängigkeit nicht genug, sie muss mit einem Wandel zu sozialer Gerechtigkeit verknüpft sein. Warum wir uns nicht einer Partei wie der antikapitalistischen CUP angeschlossen haben, mit der es viele Gemeinsamkeiten gibt, hängt auch damit zusammen, dass wir mit »Procés Constituent« ganz andere Gesellschaftsschichten erreichen.
Zu den Kommunalwahlen im Mai sind wir in Barcelona unter anderem mit »Podemos« ein Bündnis eingegangen – auch diese Bewegung steht Syriza nahe. Die CUP wollte sich leider nicht an diesem Bündnis beteiligen, wir hoffen aber, dass wir sie zu den Neuwahlen im September als Partner gewinnen können. Wir streben die Einheit all derer an, die mehr soziale Gerechtigkeit durchsetzen wollen.
Wie stellen Sie sich ein unabhängiges und sozial gerechtes Katalonien vor?
Ich stelle mir ein antikapitalistisches Land vor, das auf nachhaltige Energien setzt, ein gut funktionierendes öffentliches Gesundheits- und Erziehungssystem garantiert, zu dem alle freien Zugang haben; ein solidarisches Land, offen für Immigranten und Flüchtlinge mit einem starken sozialen Netz.
veröffentlicht in jw am 13_2_2015