750.000 Menschen forderten in Barcelona die Freilassung politischer Gefangener
Hunderttausende Menschen haben am Samstag nachmittag in der Innenstadt von Barcelona für die Freilassung der politischen Gefangenen demonstriert. Mit dem ehemaligen Vizepräsidenten der Generalitat, Oriol Junqueras, und sieben ehemaligen Ministern der katalanischen Regierung befinden sich auch der Vorsitzende der Katalanischen Volksversammlung (ANC), Jordi Sànchez, und der Chef der Kulturvereinigung Òmnium Cultural, Jordi Cuixart, hinter Gittern. Den beiden letzteren wird Aufruf zum Aufstand vorgeworfen, weil sie friedliche Proteste gegen die Durchsuchungen von Regierungseinrichtungen im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum am 1.
Oktober organisiert hatten. Den anderen Politikern wird zusätzlich noch Veruntreuung von Steuergeldern und Rebellion unterstellt; ihnen drohen damit bis zu 30 Jahre Haft.
Die Großdemonstration vom Samstag, an der nach Polizeiangaben 750.000 Menschen teilnahmen, richtete sich zudem gegen die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung, womit die katalanische Autonomie suspendiert und die Region unter die Kontrolle Madrids gestellt wurde. Damit reagierte die Zentralregierung am 27. Oktober auf die am gleichen Tag erfolgte Erklärung der katalanischen Unabhängigkeit. Diese war das Resultat des am 1. Oktober abgehaltenen Referendums bei dem sich eine deutliche Mehrheit bei einer Wahlbeteiligung von 43 Prozent für die Trennung von Madrid entschieden hatte.
Seit dem 27. Oktober hat die stellvertretende spanische Ministerpräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría von der postfranquistischen Volkspartei (PP) das Sagen in Katalonien. Der ehemalige Präsident der Generalitat, Carles Puigdemont, und weitere vier Minister setzten sich angesichts einer drohenden Verhaftung nach Belgien ab. In dieser Woche sind sie in Brüssel zu einer Anhörung zu dem gegen sie gestellten Auslieferungsantrag geladen.
Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung kämpft inzwischen an zwei Fronten und auch international für die Freilassung der Gefangenen und die Rücknahme des Inkrafttretens des Artikels 155. So ist am 7. Dezember eine Großdemonstration in Brüssel geplant. Außerdem finden am 21. Dezember die vom spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, der am Sonntag Barcelona besuchte, festgesetzten Neuwahlen in der Region statt. Die Unabhängigkeitsbefürworter sind sich noch unschlüssig, wie sie dabei vorgehen sollen. Die liberal-konservative Katalanische Europäische Demokratische Partei (Pdecat) setzt auf eine Einheitsliste mit Puigdemont an der Spitze. Die Republikanische Linke (ERC) erwägt indes, nicht mehr im gemeinsamen Bündnis »Junts pel Sí« (Gemeinsam für Ja) und statt dessen eigenständig anzutreten.
Für eine Einheitsliste der Befürworter der Unabhängigkeit sprachen sich am Samstag in einer Abstimmung 86 Prozent der Mitglieder der Katalanischen Nationalversammlung ANC aus. Ob der Minimalkonsens – gegen den Artikel 155 und für die Konsolidierung der Republik – allerdings für einen Sieg ausreicht, ist fragwürdig. Denn eine solche Kampagne gibt keine Antwort auf die drängenden ökonomischen und sozialen Fragen.