Spanien: Besetzte Fabrikgebäude von Räumung bedroht
Die Straße Puigcerdà befindet sich im Poble Nou, einem Stadtteil von Barcelona. In der Nummer 127 haben sich dort auf einem ehemaligen Fabrikgelände um die 300 Menschen, vorwiegend Migranten aus afrikanischen Ländern, zum Wohnen und Arbeiten angesiedelt.
Bereits Mitte Juni erging ein richterlicher Räumungsbefehl gegen sie, der nun in den nächsten zwei Wochen vollstreckt werden soll. Die zuständige Richterin Carla Martínez konstatierte, daß die Räumung zwar eine humanitäre Krise auslösen werde, daß die Eigentumsverhältnisse jedoch keine alternative Entscheidung zuließen.
Die Touristen, die unweit des Arbeiterviertels und ehemaligen Industriegebiets Poble Nou die Sonne genießen, machen sich keine Vorstellung davon, unter welch prekären Umständen ein paar hundert Meter weiter Menschen wohnen. Sie hausen in heruntergekommenen und baufälligen Fabrikgebäuden, die ursprünglich zum Abriß freigegeben waren, um modernen Telekommunikationsfirmen Platz zu machen. Als dieser Plan beerdigt wurde, haben sich die chancenlose Menschen den Raum zu eigen gemacht. Wer die Puigcerdàstraße 127 betritt, findet Bars, ein Restaurant, eine Moschee, einen Friseur und andere Dienstleistungsangebote. Gedacht sind sie für die, die hier leben: vorwiegend Migranten aus Afrika, aber auch Roma-Familien, spanische und katalanische Jugendliche oder junge Paare, die sich keine Wohnung leisten können.
Während sich in den oberen Stockwerken die behelfsmäßig eingerichteten Wohnräume befinden, sind im Erdgeschoß Lokale, Lagerhallen und Werkstätten eingerichtet. Es gibt Künstlerateliers, eine Fahrradwerkstatt und vor allem Hallen, in denen alte Elektrogeräte und Recyclingrohstoffe gelagert werden. Ein Großteil der Bewohner widmet sich dem Recyclinggeschäft, sammelt Eisen und verkauft es für 25 Cent das Kilo weiter. Für viele ist dies die einzige Einkommensmöglichkeit, da sie ohne Aufenthaltspapiere keine Arbeitsverträge bekommen. Es gibt auf dem ganzen Gelände kein Trinkwasser und vor ein paar Tagen wurde der angezapfte Strom abgestellt.
Unter dem Motto: »Solidarität ist die Zärtlichkeit der Nachbarn« hat sich eine Unterstützungsplattform der Anwohner gegründet, die mit den Bewohnern zusammen für eine kollektive Lösung eintritt. Sie kritisiert, daß in den letzten Jahren lediglich 20 Personen eine Wohnung und fünf Personen Arbeitsplätze erhalten haben. Vor allem bemängeln sie, daß es für die Leute ohne Papiere keine Hilfsangebote gibt. Angesichts der Dimension, die die bevorstehende Räumung haben wird, hat der Bürgermeister Xavier Trias die Angelegenheit zur Chefsache gemacht. Ein Treffen mit Vertretern der Unterstützungsgruppe und Bewohnern der Fabrik am 9. Juli führte allerdings zu keinem Ergebnis. Diese Woche könnte in dieser Hinsicht entscheidend sein. Für den heutigen Dienstag sind Gespräche mit Vertretern der spanischen sowie der katalanischenRegierung, der Generalität, geplant. Die Bewohner haben dafür eine »Kommission der Nationalitäten« gebildet und dieser Entscheidungskompetenzen für die Verhandlungen übertragen.
Inzwischen haben sich über 90 soziale und politische Gruppen sowie linke Parteien mit den in einem Manifest festgehaltenen Forderungen der Bewohner solidarisiert: sofortige Aussetzung des Räumungsbefehls, temporäre Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für die Betroffenen, Lösungen bezüglich Wohn-, Arbeits- und Lagerraum für alle, die Respektierung sowie Garantie des Rechts und der Sicherheit durch die katalanische Polizei sowie eine sofortige Einstellung der Personenkotrollen durch die Nationalpolizei. Viele Migranten wären nach einer Räumung von der Festnahme und Einweisung in das Centro de Internamiento de Extranjeros bedroht, ein Internierungslager, in dem sie unter inhumanen Bedingungen bis zu ihrer Abschiebung oder bis zu 60 Tagen festgehalten werden können.
veröffentlicht in jw am 16_07_2013