Sonia Rescalvo Zafra – 30 Jahre nach der transphoben Tat

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Foto Mela Theurer


 

30 Jahre nach dem Mord an Sonia Rescalvo hat die LGTBI-Bewegung an Stärke und Selbstbewusstsein gewonnen, doch die Angriffe auf das Kollektiv, reißen  nicht ab

Im Morgengrauen des 6. Oktober 1991 treten sechs Skinheads im Ciutadella-Park in Barcelona auf zwei schlafende Transfrauen ein. Stunden später findet ein Parkarbeiter die schwerverletzte Dori Romero in einer Blutlache. Aufgrund ihrer Hämatome wird sie zunächst für eine farbige Frau gehalten. Für die Freundin neben ihr kommt jede Hilfe zu spät. Sonia Rescalvo Zafra wurde brutal zu Tode getreten, zuletzt stießen ihr die Täter noch einen Metallstab in die Brust.

Der grausame Mord an Sonia Rescalvo gilt als erstes transphobisches Verbrechen im spanischen Staat. Die Transbewegung wird sich der Notwendigkeit einer Organisierung bewusst und es gründet sich das Kollektiv der Transsexuellen in Katalonien – Col•lectiu de Transexuals de Catalunya (CTC), das für die Rechte und Legalisierung kämpft.

Wer war Sonia Rescalvo Zafra?

Am 12. Oktober 1956 wurde Sonia in einem Dorf bei Cuenca, 160 km östlich von Madrid geboren und auf den Namen Juan getauft. Da ihre Eltern die Geschlechtsidendität als Frau nicht akzeptierten, ging sie Mitte der 1970er Jahre nach Barcelona. Dort arbeitete Sonia zunächst als Tänzerin in Theatern, Tanzsälen und Kabarets rund um das Vergnügungsviertel Paral•lel.

Silvia Reyes, eine bekannte Trans-striperin, schildert in einem Interview mit eldiario.es, dass sie mit Sonia in einer Pension in Barcelona wohnte und in verschiedenen Striptease Clubs zusammen arbeitete. Sie erinnert sich: “Sonia war nicht konfliktiv und hat sich nicht ins Leben von anderen eingemischt, wie ich es tat. Aber die zwei Personen in die sie sich verliebte, waren sehr schlecht zu ihr und verprassten ihr Geld. Als sie abgebrannt war, machten sie sich aus dem Staub.”

In einem 1978 im Erotikmagazin LIB erschienen Interview beschreibt Sonia selbst ihre Situation und Kindheitserlebnisse: “ Ich bin kein Transvestit, den ganzen Tag über bin ich eine Frau. – Es gibt Momente in denen ich Komplexe habe. Ich fühle mich nicht verstanden, man macht Witze über mich. – Oft sind es die Blicke. Manchmal schielt der Lehrer komisch zu mir rüber oder die Mitschüler schenken mir ein böses Lächeln. – Ich fühle mich ziemlich marginalisiert.”

Über ihren Lebensunterhaltserwerb erzählt sie, dass sie nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Saal und auf der Straße ihr Geld verdient.  Über ihre Zukunftspläne sagt sie: “Ich will Geld sparen und einen eigenen Laden eröffnen. Oder ich warte bis ein reicher Mann kommt und mich rettet.” Von ihren beiden Visionen erfüllte sich keine. Sonia strandete schließlich auf der Straße und arbeitete bis zu ihrer Ermordung als Prostituierte.

Bea Espejo, Mitgründerin des CTC schildert in einem Interview mit Vilaweb: “In Barcelona waren die Transfrauen zwar in der Öffentlichkeit sichtbar, aber es gab auch eine sehr starke Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Die Prostitution und die Tanzbars waren einige der wenigen Alternativen, die ein halbwegs akzeptables Lebensniveau zuließen.”

Die Tat*

Am Abend des 5. Oktober 1991 treffen sich im Born, einem Stadtteil Barcelonas, sechs jugendliche Skinheads zwischen 16 und 19 Jahren. In der Barrigón Bar trinken sie ein paar Biere und setzten ihre Tour in der Pop Bar und im SQ fort. Gegen 3 Uhr beschließen sie, im Park de la Ciutadella „Jagd auf Assoziale” zu machen. Durch ein Loch im Zaun dringen sie in den Park ein und kommen gegen 3.30 zum Musik-Pavellion, in dem zwei Personen unter einer Decke schlafen: Sonia Rescalvo und ihre Freundin Dori Romero. Als sie sehen, dass es sich bei den beiden Schlafenden um Transsexuelle handelt, beginnen sie mit ihren eisenverstärkten Springerstiefeln auf deren Kopf und Magen einzutreten. Minutenlang treten sie abwechselnd zu, bis einer von ihnen von den Opfern ablässt, um seinen Zeh zu begutachten, den er sich durch die Wucht der Tritte verletzt hat. Am Ende rammt einer einen Eisenstab in Sonia Rescalvos Brust.

Doch damit ist die “Jagd” noch nicht zu Ende. Die Gruppe entdeckt drei schlafende Obdachlose, von denen zwei entkommen, der 54-jährige Miguel Pérez Barreiros schafft es jedoch nicht. Die Jugendlichen schlagen mit Eisenstangen auf ihn ein, verlassen dann den Park und gehen zurück ins Born, wo sie im Vis-a-Vis in aller Ruhe noch ein paar Biere trinken.

Am nächsten Morgen werden die beiden Frauen von einem Arbeiter gefunden. Dori Romero wird lebensgefährlich verletzt ins Krankenhaus gebracht. Ihr Körper ist schwarz von Hämatomen, das Gesicht nicht mehr erkennbar. Trotz der schweren inneren Verletzungen überlebt sie. Auch Miguel Pérez hat den Angriff überlebt. Er wird morgens in der Nähe des Parks von Passanten aufgefunden und ins Krankenhaus gebracht. Allerdings konnte sein Augenlicht nicht gerettet werden und er ist seitdem blind.

Sonia Rescalvo ist tot.

Die Ermittlungen

Zunächst leitet die spanische Nationalpolizei die Ermittlungen, kann aber keine nennenswerten Erfolge vorweisen. Am 4. November wird der Fall dann schließlich der katalanischen Polizei, Mossos d’Esquadra übergeben, die damit zum ersten Mal seit ihrem Bestehens in einem Mordfall ermittelt. Untersuchungsleiter Joan Carles Molinero fokussiert aufgrund der Besonderheiten des Verbrechens die Nachforschungen schnell auf die rechte Szene, konkret auf die Boixos Nois. Als hooligans des FC Barcelona Anfang der 80er Jahre gegründet, öffnen sie sich schnell gegenüber gewaltbereiten Gruppen und somit kommen viele Neonazis hinzu, indoktrinieren, rekrutieren und weiten die Gewaltexzesse auf außerhalb der Stadien aus. Laut Aussagen Molineros beobachten die Mossos d’Esquadra zum Zeitpunkt der Ermittlungsaufnahme die Boixos Nois und haben Informanten in ihren Kreisen. Dies führt letztendlich dazu, dass eine bestimmte Gruppe observiert und telefonisch überwacht wird. In einem Telefongespräch gibt einer der Überwachten zu, zu wissen wer hinter dem Mord steht. Am 11. März 1992 werden er und sechs weitere Personen festgenommen. Alle gehören der rechten Szene an. Bei den Hausdurchsuchungen wird nazistisches Propagandamaterial und Symbole, sowie Schlag- und Stichwaffen gefunden. An den beschlagnahmten Springerstiefeln werden teilweise noch Blut- und Hautreste festgestellt.

Sechs der Verhafteten gestehen die Tat, ein weiterer hatte nach einheitlichen Aussagen lediglich Kenntnis davon.

Der Prozess und die Täter

Bei den Verhafteten handelt sich um Héctor López Frutos (18), seinen Bruder Isaac (16), Pere Alsina Llinares (19), Oliver Sánchez Riera (16), Andrés Pascual Prieto (18), David Parladé Valdéz (16) sowie Oscar Lonzano (16). Dem Haftrichter vorgeführt begründen sie ihre Tat damit “durch ethnische Säuberung der Gesellschaft einen Gefallen getan zu haben.” Sie bereuen nichts und bejahen die Frage, ob sie es wieder tun würden.

Im Prozess 1995 werden Héctor Lopez, Pere Alsina und David Parladé zu je 65 Jahren verurteilt, Andrés Pacual und Oliver Sánchez erhalten 45 Jahre und 4 Monate, Isaac López 54 Jahre und 4 Monate. Alle werden wegen Mordes und einem weiteren Mordversuch verurteilt, erschwerend kommt der Tatbestand hinzu dass sie in Dunkelheit und in der Gruppe agierten. Die Tatsache, dass die Angeklagten betrunken waren, wirkt sich strafmildernd aus. Oscar Lonzano, dem von der Tat berichtet worden war und der die Täter schützte, wird zu 20 Tagen Gefängnis und einer Strafe von 100.000 Peseten verurteilt.

Erstmals sind die Stadtregierung Barcelonas, sowie die Gruppe für die Rechte der Schwulen Front d’Alliberament Gai de Catalunya (FAGC), die Coordinadora Gai-Lesbiana, Nachbarschaftsvereinigungen und Gewerkschaften als Nebenkläger:innen vertreten. Dem von ihnen vorgebrachte Anklagepunkt der Mitgliedschaft in einer illegalen Vereinigung wird nicht entsprochen, mit der Begründung es gäbe keine klar erkennbare Gruppenstruktur. Auch wird die Tat nicht als Hassverbrechen gewertet, dieser Delikt wird erst 1995 im Strafgesetz aufgenommen.

Zwei Jahre später setzt der Oberste Gerichtshof das Strafmaß herab und gibt damit dem Einspruch der Verteidigung Recht. Mit der Begründung, die Angeklagten hätten keine Mordabsicht gehabt, wird der Strafbestand auf fahrlässige Tötung revidiert.

Für Eugeni Rodríguez, Sprecher der FAGC, stellte sich der Gerichtshof dadurch auf die Täterseite: “Die gesamte Justizmaschinerie wurde in Gang gesetzt und ausgeschöpft um das Verbrechen zu entpolitisieren und ihm die Schärfe zu nehmen. Es ging dabei um eigene Interessen und nicht um die Bestrafung einer aus Hass begangenen Tat.”

20 Jahre nach dem Verbrechen verlassen die letzten Täter das Gefängnis. Gegen einige von ihnen gibt es seitdem neue Verfahren wegen Raub oder geschlechtsspezifischer Gewalt. 2016 wird Oscar Lozano festgenommen, nachdem er eine schwangere Frau die einen Tschador trägt beschimpft, schubst und in den Bauch tritt.

Von Sonia Rescalvo zu Samuel Luiz

Heute erinnert eine Gedenktafel am Musik-Pavellion im Ciutadella-Park an Sonia Rescalvo, die 2015 von Unbekannten entfernt und daraufhin wieder neu angebracht werden musste. Auch wenn sich in 30 Jahren gesellschaftspolitisch und auf legislativer Ebene viel getan hat, sind Angriffe und Diskriminierung auf Personen des LGTBI-Kollektiv noch immer alltäglich.

Der Mord an Sonia Rescalvo war Anstoss für die Trans- und LGTBI-Bewegung, für ihre Rechte und Forderungen zu kämpfen und sich zu organisieren. Selbsthilfebüros entstanden, in denen von Angriffen und Diskriminierung Betroffene beraten wurden. Es folgte 2008 die Eröffnung des Observatorium gegen Homophobie. Der von der Bewegung ausgehende Druck führte schließlich 2014 zur Verabschiedung des Gesetzes gegen Homophobie im katalanischen Parlament.

Die Realität sieht jedoch weniger rosig aus. Nach Angaben des spanischen Innenministeriums wurden von Januar bis Ende Juli 2021 748 Hassdelikte begangen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein, da viele der Angriffe nicht zur Anzeige kommen.

Am 3. Juli 2021 wird in La Corunya der 24-jährige Samuel Luiz von einer Gruppe Jugendlicher gejagt und unter Schreien wie “Schwule Sau” zu Tod geprügelt. – Knapp 30 Jahre nach dem Tod von Sonia Rescalvo.

 

*Der Tathergang wurde so vom Leiter der Untersuchungen Joan Carles Molinero geschildert