Katalanisches Parlament ringt um Wahl des neuen Regierungschefs. Linke CUP verweigert Artur Mas die Unterstützung
In Barcelona wurde am Dienstag die Parlamentsdebatte um die Wahl des künftigen Regierungschefs fortgesetzt. Es wurde allgemein erwartet, dass Amtsinhaber Artur Mas im (nach jW-Redaktionsschluss durchgeführten) ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit der Stimmen verfehlen würde. Seiner Fraktion »Junts pel Sí« (JxS) fehlen für eine eigene Majorität sechs Abgeordnete in dem 135 Sitze zählenden Parlament. Dadurch ist sie auf die zehn Stimmen der linken CUP angewiesen, doch die hatte schon im Vorfeld angekündigt, Mas die Unterstützung zu verweigern.
Sie macht den seit 2010 regierenden Ministerpräsidenten für Sozialabbau und Korruptionsskandale verantwortlich.
Im zweiten Wahlgang am Donnerstag würde Mas die einfache Mehrheit reichen. Die CUP brachte am Dienstag aber auch den Spitzenkandidaten von JxS, Raül Romeva, als »Konsenskandidaten« für das Amt des Ministerpräsidenten ins Spiel. Dieser hatte bis vor wenigen Monaten für die katalanische Linkspartei ICV im Europaparlament gesessen, war dann aber in das Lager der Befürworter einer Unabhängigkeit Kataloniens gewechselt. »Romeva wäre ein guter Präsident«, sagte der CUP-Abgeordnete Benet Salellas. »Ich vermute, dass auch Junts pel Sí dieser Meinung ist, denn sie haben ihn ja zu ihrer Nummer eins gemacht.« Romeva selbst schloss einen solchen Ausweg nicht kategorisch aus, betonte aber, sein Name stehe »im Moment« nicht auf der Tagesordnung.
Für JxS, einem Bündnis aus der liberalen Demokratischen Konvergenz (CDC) und der sozialdemokratisch orientierten Republikanischen Linken (ERC), und die CUP geht es darum, eine für die Unabhängigkeit Kataloniens eintretende Regierung zu bilden. Am Montag hatte das Parlament einen Antrag der beiden Fraktionen verabschiedet, den Aufbau einer katalanischen Republik zu beginnen (jW berichtete). Die Resolution hatte bereits vor der Abstimmung für Wirbel gesorgt. Als der Entwurf am 27. Oktober veröffentlicht wurde, berief der spanische Regierungschef Mariano Rajoy umgehend Treffen mit den führenden Oppositionspolitikern ein, um sich deren Rückhalt bei der Verteidigung der Einheit Spaniens zu versichern. Eine Abfuhr holte er sich dabei nur vom Chef der Vereinigten Linken (IU), Alberto Garzón. Auch Vizepräsidentin Soraya Sáenz Santamaría bekräftigte, die Regierung werde alle juristischen und politischen Schritte einleiten, damit die Resolution wirkungslos bliebe. Noch am Montag reichte das Kabinett Klage beim spanischen Verfassungsgericht ein, dessen Entscheidung wird für den heutigen Mittwoch erwartet. Allerdings hat sich die Mehrheit des katalanischen Parlaments das Mandat erteilt, das Urteil aus Madrid zu ignorieren.
Als erstes könnte sich die Wut der spanischen Regierung gegen die neue katalanische Parlamentspräsidentin Carme Forcadell richten. Diese war Madrid schon als Vorsitzende der für die Unabhängigkeit eintretenden Bürgerbewegung Katalanische Nationalversammlung (ANC) verhasst. Gegen sie könnte das erst im Oktober im spanischen Kongress verabschiedete Gesetz angewandt werden, das eine sofortige Amtsenthebung von Mandatsträgern bei »Verstößen gegen die spanische Verfassung« zulässt. Das wäre die Vorstufe zur Aufhebung der Autonomie Kataloniens, mit der Madrid seit Monaten droht.
Unterstützung bekam der Ministerpräsident mitten im Wahlkampf von seinem wichtigsten Kontrahenten, dem Sozialdemokraten Pedro Sánchez. Der Spitzenkandidat der »Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei« erklärte, Katalonien habe mit der Verabschiedung der Resolution einen »Schlag gegen die Demokratie« geführt. Dagegen kündigte ANC-Chef Jordi Sánchez, an: »Wir stehen hinter unserem Parlament als kollektivem Zusammenhalt. Die Zivilgesellschaft unterstützt voll und ganz die demokratisch gewählten Institutionen und ihre Entscheidungen.« Ihre Mobilisierungsfähigkeit hatte die Organisation zuletzt am 11. September unter Beweis gestellt, als am katalanischen Nationalfeiertag wieder rund 1,4 Millionen Menschen für die Unabhängigkeit demonstrierten.
veröffentlicht in jw am 11_11_2015