In Barcelona gerät der Versuch einer alternativen Kommunalpolitik nicht nur durch fehlende Mehrheiten an seine Grenzen
Die Freude war groß, als nach den Kommunalwahlen im Mai 2015 mit »Barcelona en comú« (Barcelona gemeinsam) eine links-alternative Parteienplattform als stärkste Kraft in das Rathaus der katalanischen Metropole einzog. Die Tatsache, dass auch in anderen Städten Spaniens – wie Madrid und Cádiz – linke Zusammenschlüsse gewonnen hatten, ließ die Protagonisten zunächst hoffnungsvoll nach vorne blicken. Andererseits war klar, dass die Bildung einer Minderheitsregierung des Linksbündnisses, das nur über elf von 41 Mandaten im Stadtparlament verfügt, nicht einfach werden würde, und man hart um die Durchsetzung des angestrebten radikalen Wandels kämpfen müsste.
Von Anfang an stand den Linken um Bürgermeisterin Ada Colau eine reserviert bis feindlich agierende Presse gegenüber. Der Chef der Stadtpolizei Guardia Urbana, Evelio Vázquez, trat wenige Tage nach der Wahl aus Protest gegen die neue Administration zurück. Eine Lobby aus Politik und Wirtschaft war entschlossen, ihre Interessen zu verteidigen. All dem versuchte man im Rathaus mit einer Reihe von Sofortmaßnahmen zu begegnen, die unbürokratisch und bürgernah durchgesetzt werden sollten.
Anderthalb Jahre danach fällt die Bilanz widersprüchlich aus. Der Zusammenschluss aus der linksgrünen Iniciativa per Catalunya – Verds (ICV), der Vereinten und Alternativen Linken EUiA, Procés Constituent und Podem, dem katalanischen Ableger von Pablo Iglesias‘ Podemos, musste nach einem Jahr die Sozialdemokraten der PSC als Koalitionspartner ins Boot holen.
Obwohl sich »Barcelona en comú« und PSC politisch nicht sonderlich nahestehen, wollte man so an Stärke gewinnen und die Stadt regierbarer machen. Die linken Kräfte der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung – die antikapitalistische »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP) und die sozialdemokratische Republikanische Linke Kataloniens (ERC) – verweigerten einen Eintritt in die Regierung. Dem Zweckbündnis fehlen deshalb immer noch sechs Stimmen zur absoluten Mehrheit.
Vizebürgermeister Gerardo Pisarello hoffte deshalb auf außerparlamentarische Unterstützung. »Der Druck der Straße ist notwendig, um im Parlament etwas zu erreichen«, sagte er im Mai dem Onlineportal Crític. »Barcelona en comú« habe nicht die reale Macht, sondern kontrolliere nur einen kleinen Teil davon, betonte er.
Trotz des Fehlens einer eigenen Mehrheit konnte »Barcelona en comú« nach einem Jahr an der Regierung auf eine Reihe von Erfolgen zurückblicken. So investierte die alternative Administration 2015 und 2016 rund 17,5 Millionen Euro, um die Erwerbslosigkeit zu bekämpfen – ein Tropfen auf den heißen Stein, monieren die großen Gewerkschaftsdachverbände. Die UGT (Allgemeine Union der Arbeiter) fordert etwa einen Beschäftigungspakt zwischen Managern und Gewerkschaften. Der für Unternehmen und Kultur verantwortliche PSC-Stadtrat Jaume Collboni setzt allerdings vor allem auf Investitionsanreize für die Kapitalisten. So will er in den nächsten Jahren 30.000 neue Arbeitsplätze schaffen.
Beim Kampf gegen die Kinderarmut setzte die Administration von Ada Colau ebenfalls Zeichen. Im vergangenen Jahr erhöhte sie den Zugang zu kostenlosem Mittagessen an den Schulen um fünf Prozent. Zudem wurden 10,8 Millionen Euro bereitgestellt, um Kinder und Jugendliche aus armen Familien mit 100 Euro im Monat zu unterstützen.
Wohnraum für alle
Ihren entschiedensten Kampf führt die Regierung von Ada Colau jedoch bei der Wohnungspolitik und Stadtplanung. Dieses Thema ist der Bürgermeisterin, die zuvor Sprecherin der Plattform gegen Zwangsräumungen (PAH) war, ein besonderes Anliegen. Sie will sowohl der Spekulation wie auch dem illegalen Tourismus Einhalt gebieten. Barcelona gilt mit seinen 1,6 Millionen Einwohnern derzeit als die am meisten besuchte Stadt auf der Iberischen Halbinsel – andere sprechen sogar davon, dass die katalanische Metropole mehr Touristen aufnimmt als sonst eine Stadt in Europa. Billigflieger steuern sie an, und viele Kreuzfahrtschiffe sind auf Barcelona ausgewichen, seit die Häfen Nordafrikas wegen Krisen und Kriegen gemieden werden. Höhepunkt dieses Booms waren 28.000 Kreuzfahrt-Touristen allein im September 2015.
Eine Folge des Ansturms ist, dass immer mehr Unterkünfte in Ferienappartements umfunktioniert werden. So werden Wohnungen rar und die Mieten unbezahlbar. Ganze Stadtteile erleben zudem eine Steigerung der täglichen Lebenshaltungskosten, da vom kleinen Supermarkt bis hin zur alteingesessenen Bar um die Ecke jeder einen Teil vom Kuchen abhaben möchte und kräftig die Preise erhöht. Feiernde Partygänger und lärmende Touristen lassen sich zudem schwer mit dem Arbeitsalltag der Einwohner in Einklang bringen. So kommt es immer wieder zu Protesten und Demonstrationen.
Die Kommunalregierung versucht, mit Geldstrafen gegenzusteuern. Mehr als 300 Mal verhängte sie solche bislang gegen Vermieter, die nicht angemeldete und damit illegale Ferienquartiere offeriert hatten. Ihnen wurde aber angeboten, die Buße um 80 Prozent zu reduzieren, wenn die Appartements für die nächsten drei Jahre in sozialen Wohnraum umgewandelt werden – mit bislang allerdings überschaubarem Erfolg. Auch gegen die beiden großen Wohnraumportale »Airbnb« und »Homeaway« wurden schon im Dezember 2015 Bußgelder in Höhe von je 60.000 Euro verhängt.Im November 2016 hat die Stadtregierung diese auf je 600.000 Euro erhöht, weil die Portale nach wie vor illegale Quartiere inserieren und vermieten (jW berichtete). Die Banken Sareb, BBVA und Santander sollen ebenfalls je 315.000 Euro bezahlen – was der gesetzlichen Höchststrafe entspricht –, weil sie mit leerstehendem Wohnraum spekulieren. Der zuständige Stadtrat Josep Maria Montaner schloss zudem für die Zukunft auch Enteignungen von Bankbesitz nicht aus, falls die Finanzinstitute nicht einlenken. Bei einer Pressekonferenz kündigte er zudem an, dass auch weitere Banken von solchen Maßnahmen betroffen sein könnten.
Für Unmut sorgt in Barcelona allerdings, dass es noch immer zu Zwangsräumungen kommt, wenn die Bewohner die Raten von Krediten nicht mehr bezahlen können, die sie für den Wohnungskauf aufnehmen mussten. Die Stadtregierung kann die Polizeiaktionen nicht verhindern, da diese in den Kompetenzbereich der katalanischen Autonomieregierung fallen.
Flüchtlinge willkommen
Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit hatte Ada Colau Barcelona zu einer »flüchtlingsfreundlichen« Stadt erklärt und damit gegen die Abschottungspolitik der EU und der spanischen Zentralregierung protestiert. Unter dem Motto »Wir nehmen Flüchtlinge auf« wurde eine Medienkampagne gestartet. Im Oktober 2015 informierte sich Colau in Leipzig über Unterbringungsmöglichkeiten und Integrationsmodelle für Flüchtlinge. Die Reise schlug mit 12.700 Euro zu Buche und wurde entsprechend kritisch hinterfragt, zumal die Entscheidung, ob und wie viele Flüchtlinge aufgenommen werden, bei Madrid liegt. Der spanische Staat hatte zum damaligen Zeitpunkt gerade einmal 18 Personen die Aufnahme gewährt. Im vergangenen März bezogen schließlich erstmals Flüchtlinge aus der Ukraine die »Casa Bloc«, eine ehemalige Witwenresidenz des Militärs. Nicht vorbereitet war man in Barcelona dann aber, als immer mehr syrische Flüchtlinge eintrafen. Es fehlte an Infrastruktur, Kleidung und Schuhen. Trotz eines Zuschusses von jährlich 6.000 Euro pro Person aus Madrid gestaltete sich die Situation der Flüchtlinge in Barcelona trotz aller Aufnahmebereitschaft zunächst prekär.
Noch schwieriger ist jedoch die Lage der Migranten, die sich ohne Aufenthaltspapiere seit Jahren ihren Lebensunterhalt in Barcelona als Straßenhändler, sogenannte Top-Mantas, verdienen. Zu Beginn tolerierte die linke Stadtregierung dies, geriet dafür jedoch immer mehr unter Beschuss. Nicht zuletzt unter dem Druck der Stadtpolizei und von deren Gewerkschaft fiel das Kabinett Colau schließlich in traditionelle »Lösungsmuster« zurück und ging repressiv gegen die Betroffenen vor. Auf öffentlichen Plätzen, auf denen Straßenhändler ihre Ware anboten, waren Verfolgungs- und Prügelszenen zu beobachten. Über Monate setzten Fahrzeuge der Stadtreinigung Orte unter Wasser, an denen normalerweise Decken mit Sonnenbrillen, Taschen oder Barça-Trikots ausgebreitet waren. Colaus Vize Pisarello rechtfertigte das Vorgehen bei Crític: »Man darf nicht nur auf eine Seite schauen. Der Verkauf gefälschter Produkte schädigt die mittelständischen Betriebe. Gleichzeitig stigmatisiert er die Migranten. Wir müssen eine Lösung finden.« Die allerdings steht weiter aus. Runde Tische mit einer inzwischen gegründeten Gewerkschaft der Straßenhändler und den mittelständischen Betrieben brachten keine Ergebnisse.
Derweil präsentiert sich Barcelona als fortschrittlich und alternativ. Im Oktober 2015 erklärte die Stadt sich zur »TTIP-freien Zone« und beherbergte im April ein Forum gegen das zwischen der EU und den USA geplante Freihandelsabkommen, an dem Vertreter aus mehr als 40 Städten teilnahmen. Wenn sich allerdings der Widerstand gegen Großkonzerne und deren Ausbeutung praktisch manifestiert, hört man aus dem Rathaus andere Worte. Einen Streik der öffentlichen Verkehrsmittel während des »Mobile World Congress« Anfang diesen Jahres erklärte Colau für »unverhältnismäßig«.
Zur Person: Ada Colau
An der Bürotür von Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau findet sich ein Plakat mit der Aufschrift: »Vergessen wir nicht, wer wir sind – vergessen wir nicht, warum wir hier sind!« Dieses Leitmotiv, das tägliche Besinnen auf die politischen Wurzeln und den Bezug zur Basis, trotz der Komplexität ihres Amtes durchsetzen zu wollen, das ist sicherlich nicht verkehrt. Doch ob ihr ambitioniertes Projekt eines radikalen Wandels aus einer Minderheitenposition heraus den subtileren Gefahren der Realpolitik – wie Korrumpierbarkeit und eine Entfremdung von den Basisbewegungen – standhalten kann, ist nach anderthalb Jahren alternativer Regierung noch nicht eindeutig entschieden.
Ada Colau wurde am 3. März 1974 in Barcelona geboren. Das war genau einen Tag nach der Hinrichtung des linken Aktivisten Salvador Puig Antich durch die späte Franco-Diktatur. Laut Ada Colaus Kurzbiographie war dieses Zusammentreffen ein Schlüsselpunkt für ihr soziales Engagement. Eine erste Politisierung erlebte die Philosophiestudentin in der Bewegung gegen die Umstrukturierung der Universitäten Anfang der 90er Jahre. Ab 2000 klinkte sich Colau dann in die Kämpfe gegen die Weltbank und den imperialistischen Krieg im Irak ein. Aus den Initiativen gegen Wohnraumspekulation und Immobilienblase gründete sich 2009 schließlich die Plattform gegen Zwangsräumungen (PAH), als deren Sprecherin Colau fünf Jahre lang fungierte. Als aus einem Teil der Bewegung der »Empörten« neue Parteien wie Podemos entstanden, beteiligte sie sich an den Diskussionen um eine Wiederaneignung der Institutionen auf kommunalpolitischer Ebene. Ein Ergebnis dieser Debatten war das Wahlbündnis »Barcelona en comú« (Barcelona gemeinsam), das im Februar 2015 gegründet wurde und mit Ada Colau als Bürgermeisterkandidatin bei den Kommunalwahlen antrat. Am 24. Mai 2015 gewann das Bündnis elf der 41 Sitze im Stadtrat, und erstmals wurde eine Frau an die Spitze der Stadt gewählt. Doch ihre Regierung war immer auf Allianzen angewiesen, um Mehrheiten gewinnen zu können. Obwohl man politisch der Republikanischen Linken (ERC) nähersteht, bildete »Barcelona en comú« schließlich im vergangenen Mai eine Koalition mit den Sozialdemokraten der PSC. Aber auch dieser widersprüchlichen Allianz fehlen noch sechs Mandate zur Stimmenmehrheit. Die weitere Zukunft des Kabinetts Colau ist also völlig offen. (mt)