Demokratie in Gefahr

Spaniens Justiz zerrt Kataloniens Parlamentspräsidentin vor Gericht, weil sie eine Debatte über die Unabhängigkeit zugelassen hat

Am Freitag hat vor dem Obersten Gerichtshof Kataloniens (TSJC) das Verfahren gegen die Präsidentin des katalanischen Parlaments, Carme Forcadell, begonnen. Der Politikerin werden »Amtsmissbrauch« und »Ungehorsam« zur Last gelegt, ihr drohen die Absetzung und der Entzug des passiven Wahlrechts. Hintergrund des Verfahrens ist, dass Forcadell im Juli in der Legislative eine Debatte über die Unabhängigkeit Kataloniens zugelassen hatte.

Die regierende Allianz »Junts pel Sí« (JxSí, Gemeinsam für das Ja) – ein Bündnis aus für die Abspaltung der Region von Spanien eintretenden Parteien – und die antikapitalistische CUP (Kandidatur der Volkseinheit) hatten damals mit Billigung Forcadells eine Änderung der Tagesordnung durchgesetzt, um über den Bericht einer Parlamentskommission über den »verfassunggebenden Prozess« abzustimmen. Der Ausschuss hatte untersucht, welche Möglichkeiten es zu einer »Abkoppelung« Kataloniens vom spanischen Staat gibt. Das spanische Verfassungsgericht sieht schon in der Diskussion dieser Frage ein Vergehen, das geahndet werden muss.

Am Freitag legten zwei Rechtsanwälte des Parlaments den Richtern eine 36seitige Eingabe vor, in der sie die Rechtmäßigkeit des Handelns der Präsidentin ausführen. »Nach Artikel 65 der Parlamentssatzung haben die Kommissionen die Aufgabe, Analysen über alle Angelegenheiten zu erstellen, die die katalanische Gesellschaft betreffen. (…) Demnach muss die Möglichkeit bestehen, über aktuelle Fragen zu debattieren. (…) Das Parlament kann sich nicht wegen möglicher verfassungswidriger Schlussfolgerungen schon in seiner Debatte beschneiden lassen«, argumentieren die Verteidiger. Sie beziehen sich zudem auf das in der spanischen Verfassung garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung.

Forcadell, die vor ihrer Zeit im Parlament Vorsitzende der für die Unabhängigkeit eintretenden Basisbewegung »Katalanische Nationalversammlung« (ANC) war, ging den 700 Meter langen Weg vom Parlament zum Gericht nicht alleine. Begleitet wurde sie vom Präsidenten der katalanischen Generalitat, Carles Puigdemont, Vertretern der Unabhängigkeitsparteien JxSí und CUP, aber auch der nicht für die Abspaltung eintretenden Linksbündnisse CSQP (etwa: Katalonien – Yes We Can) und BeC (Barcelona gemeinsam) und Bürgermeistern aus rund 400 Gemeinden. Insgesamt waren es mehr als 3.000 Demonstranten, die Forcadell ihre Unterstützung bekundeten. Auch Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau hatte am Abend zuvor in einem Manifest bekundet: »Gemeint sind wir alle.« Eine Kriminalisierung der Präsidentin bedeute die Kriminalisierung einer ganzen Bewegung, so Colau.

Forcadell selbst erklärte gegenüber Journalisten, dass nicht ihre politische Zukunft auf dem Spiel stehe, sondern die Demokratie. »Im spanischen Staat benutzt die Exekutivgewalt die Judikative, um ein Parlament in seinen demokratischen Rechten einzuschränken«, warnte sie.

Tatsächlich weitet die spanische Justiz ihr Vorgehen aus. Wie die Tageszeitung El Punt Avui am Montag berichtete, sollen weitere Mitglieder des Parlamentspräsidiums vor Gericht zitiert werden. Unter ihnen sind nicht nur bekannte Verfechter der Unabhängigkeit, sondern auch Joan Josep Nuet. Der Generalsekretär der Partei »Kommunisten Kataloniens« sitzt für die Vereinte und Alternative Linke (EUiA) im Parlament und gehört dessen Präsidium an. Er ist kein Verfechter der Unabhängigkeit, spricht sich aber dafür aus, das katalanische Volk selbst über seine Zukunft entscheiden zu lassen. Der Justiz reicht das schon für eine Vorladung.

Kataloniens Präsident Puigdemont sicherte Forcadell seine volle Unterstützung zu. »Eine rechtmäßig gewählte Parlamentspräsidentin bleibt dies auch«, betonte er. Offenkundig als Reaktion auf die Repressionsmaßnahmen der spanischen Zentralmacht wollen die Spitzen von JxSí und der CUP am Freitag über die Vorbereitung eines verbindlichen Referendums über die Unabhängigkeit im kommenden Jahr beraten.

veröffentlicht in jw am 20_12_2016