Unabhängige Republik oder für immer Teil Spaniens? Die am Donnerstag stattfindenden Wahlen in Katalonien werden diese Frage nicht beantworten
Der Wahlkampf zu den vom spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy für den 21. Dezember angeordneten Parlamentswahlen in Katalonien hat etwas Surrealistisches an sich. Zwei der Kandidaten der Unabhängigkeitsparteien sitzen im Gefängnis. Der von Madrid abgesetzte katalanische Ministerpräsident und Spitzenkandidat des von seiner liberalen Demokratischen Partei (PDECat) dominierten Bündnisses Junts per Catalunya (Gemeinsam für Katalonien), Carles Puigdemont, greift von Belgien aus in die Kampagne ein. Die inzwischen von der spanischen Zentralmacht kontrollierte Regionalpolizei Mossos d’Esquadra entfernt gelbe Schleifen aus dem Stadtbild, nachdem diese Solidaritätssymbole für die politischen Gefangenen von der zuständigen Behörde als unzulässige Wahlwerbung verboten wurden. Das Regionalparlament ist seit dem 27. Oktober aufgelöst, die spanische Regierung hat unter Anwendung des Verfassungsartikels 155 die Kontrolle über die katalanischen Ministerien und Institutionen übernommen. Die faktische Aufhebung der Autonomie Kataloniens begründete Madrid mit dem Ende Oktober getroffenen Beschluss des regionalen Parlaments, eine unabhängige katalanische Republik aufzubauen.
Stimmen die Umfragen, dürfte das Wahlergebnis die politischen Verhältnisse in Barcelona nicht grundsätzlich ändern. Die verschiedenen Institute sehen die spanisch-nationalistischen Ciutadans (Bürger) fast gleichauf mit der sozialdemokratischen Unabhängigkeitspartei Republikanische Linke (ERC). Diese wird es mit ihren beiden bisherigen Bündnispartnern, mit denen sie bislang im Parlament über eine Mehrheit verfügte, jedoch schwer haben, ihr Projekt einer unabhängigen katalanischen Republik fortzusetzen. Mit ihrer einseitigen Unabhängigkeitserklärung vom 27. Oktober sind sie an ihre Grenzen gestoßen. Es fehlen internationale Unterstützung für den Aufbau der eigenständigen Republik ebenso wie die Bereitschaft zu Verhandlungen durch die spanische Regierung. Damit wäre auch bei einer erneuten Mehrheit von Junts per Catalunya, ERC und der antikapitalistischen Kandidatur der Volkseinheit (CUP) unklar, wie sie Fortschritte zu einer republikanischen Zukunft der bisher autonomen Gemeinschaft erreichen wollen.
Spitzenkandidat in Haft
ERC-Spitzenkandidat Oriol Junqueras, bisheriger Vizepräsident der katalanischen Regierung unter Puigdemont, forderte aus dem Gefängnis in einem im Senat verlesenen Brief Dialog und eine politische Lösung des Konfliktes. Die CUP hingegen setzt auf Selbstorganisierung von unten und gewaltfreien Widerstand, der sich unter anderem in einem unbefristeten Generalstreik manifestieren könnte. Schon am 8. November zeigten der linke Flügel der Unabhängigkeitsbewegung und kleinere Gewerkschaftsverbände mit einem Generalstreik, dass durch gut organisierte und abgestimmte Aktionen wie Straßen- und Bahnhofsblockaden Teilerfolge möglich sind. Eine entscheidende Rolle spielen für diese Strategie auch die dezentral organisierten und politisch uneinheitlich ausgerichteten »Komitees zur Verteidigung der Republik« (CDR). Diese entstanden Ende September spontan als Basisgruppen, um das Referendum am 1. Oktober trotz der Polizeigewalt durchzusetzen. Seither engagieren sie sich als Widerstandsbewegung gegen die Repression und organisieren unter anderem eine Beobachtung der Wahlen, weil sie den spanischen Behörden misstrauen. Inzwischen stehen jedoch auch die CDR im Fadenkreuz juristischer Ermittlungen.
Zudem lässt die Konkurrenz der Unabhängigkeitsparteien untereinander viele Fragen offen. So würde ERC-Chef Junqueras das Amt des Regierungschefs zustehen, sollte seine Liste aus den Wahlen als stärkste Kraft hervorgehen. Puigdemont jedoch begreift sich nach wie vor als legitimer Präsident, und seine Partei verlangt von möglichen Bündnispartnern, ihn im Amt zu bestätigen. Als Vorteil Puigdemonts könnte sich herausstellen, dass er eben nicht wie Junqueras im Gefängnis sitzt, sondern von Brüssel aus politisch agieren kann. Dorthin war er mit vier Ministern geflüchtet, um einer Inhaftierung zu entgehen. Auch ihm drohen aufgrund der Durchführung des von Madrid verbotenen Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober bis zu 30 Jahre Gefängnis wegen »Rebellion«. Puigdemont kündigte dennoch seine Rückkehr nach Barcelona an, falls er nach den Wahlen als Präsident bestätigt wird.
Konkurrenz auch rechts
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums überwiegt ebenfalls die Konkurrenz zwischen den prospanischen Parteien, die ihre Unterstützung für die Aufhebung der katalanischen Autonomie bekundet haben. Die Spitzenkandidatin der Ciutadans, Inés Arrimadas, sieht sich bereits als künftige Regierungschefin. Ihre neoliberal ausgerichtete Partei führt einen ausgeprägt spanisch-nationalistischen Wahlkampf. Populistisch agil und optisch ein junges, dynamisches Profil verkörpernd wirbt Arrimadas mit Versprechungen. Sie will »die Präsidentin aller« sein und umwirbt damit sogar bisherige Anhänger des »separatistischen« Lagers. Die Republikaner werfen ihr hingegen die franquistische Vergangenheit ihrer Familie vor. Ihr Vater war in den 1960er Jahren Polizist der Diktatur in Katalonien, dessen Vetter Moisés ein hoher Beamter des faschistischen Apparats und der Staatspartei.
Auch wenn die Umfragen ein gutes Ergebnis für die Ciutadans vorhersagen, wird Arrimadas auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen sein, um Regierungschefin werden zu können. Ein Partner dürfte dabei die Volkspartei (PP) sein. Während sie in Spanien die Zentralregierung stellt, ist sie in Katalonien nur eine kleine Kraft, die bei rund acht Prozent der Stimmen landen dürfte. Ihr Spitzenkandidat Xavier García Albiol versucht, mit rabiater Hetze gegen die »Separatisten« zu punkten. So forderte er zuletzt das Verbot der »Estelada«, der Fahne der Unabhängigkeitsbewegung, weil sie verfassungswidrig sei. Weniger Probleme hat er damit, dass auf den Kundgebungen seiner Partei Banner der Franco-Diktatur geschwenkt werden.
Sozialdemokraten schwanken
Da auch die beiden Rechtsparteien zusammen wohl nicht auf die für eine Regierungsbildung notwendige Abgeordnetenzahl kommen werden, umwerben sie seit Wochen die Sozialdemokraten der PSC, dem Ableger der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE). Auch diese gehört zu den »verfassungstreuen« Parteien und hat die Anwendung des Artikels 155 akzeptiert, doch zugleich gilt ein Zusammengehen der PSC mit der PP als unwahrscheinlich. Nach den spanischen Parlamentswahlen 2016 hatten sich die katalanischen Sozialdemokraten der Entscheidung ihrer Mutterpartei widersetzt, durch Stimmenthaltung im Parlament die Wahl des PP-Kandidaten Mariano Rajoy zum Ministerpräsidenten zu ermöglichen. Rajoy und seine Partei sind in unzählige Korruptionsskandale verwickelt.
Als dritte Kraft zwischen dem Block der Unabhängigkeitsparteien und den prospanischen Kräften versteht sich die linke Formation Catalunya en Comú – Podem (Katalonien Gemeinsam – Wir können) mit ihrem Spitzenkandidaten Xavier Domènech. Dabei handelt es sich um ein Bündnis aus den »Comuns« um Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau, der auch die traditionellen, föderalistisch ausgerichteten Linksparteien Kataloniens angehören, mit dem katalanischen Arm von Podemos.
Der Spitzenkandidat der CUP, Carles Riera, hatte Domènech eingeladen, als Reaktion auf die Unterdrückung des Referendums vom 1. Oktober und auf die Suspendierung der katalanischen Autonomie eine Koalition für den Aufbau einer demokratischen unabhängigen Republik einzugehen. Die »Comuns« präferieren jedoch eine Drei-Parteien-Regierung gemeinsam mit ERC und PSC. Es erscheint derzeit kaum vorstellbar, dass eine solche »Tripartit«, die es zwischen 2003 und 2010 bereits gab, tatsächlich durchsetzbar wäre. Zwar fordert PSC-Spitzenkandidat Miquel Iceta Straffreiheit für die politischen Gefangenen, doch die Gräben zwischen ERC und PSC sind tief. Es erscheint unrealistisch, dass die ERC, wie von Domènech gefordert, ihren Unabhängigkeitsdiskurs zugunsten einer Koalition aufgibt. Zudem ist für die PSC eine Allianz mit den »Comuns« nicht zuletzt deshalb schwierig, weil diese im Rathaus von Barcelona ihre Koalition mit den Sozialdemokraten aus Protest gegen deren Unterstützung für den Artikel 155 platzen ließen.
veröffentlicht in jw_am_12_2017