Ringen um Katalonien
Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont stand am Dienstag im Fokus der internationalen Öffentlichkeit. Würde er sein Mandat erfüllen und die Republik Katalonien ausrufen? Oder würde er Stimmen wie der von EU-Ratspräsident Donald Tusk oder von Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau nachgeben und auf eine einseitige Unabhängigkeitserklärung verzichten?
Puigdemont versuchte den Spagat und tat beides: Er habe das Mandat, die Unabhängigkeit zu erklären, sagte er, und bat unmittelbar darauf das Parlament, auf diese für »einige Wochen« zu verzichten. Was im ersten Augenblick nach einem klugen Schachzug aussieht, könnte sich schon bald als reine Verschiebung des Problems herausstellen. Der Ministerpräsident setzt auf Zeit und Dialog. Doch solange es international keinen Druck auf Madrid gibt und die Angelegenheit als interner Konflikt abgetan wird, hat die spanische Regierung von Mariano Rajoys Volkspartei (PP) keinen Grund, auf das Dialogangebot einzugehen. Auch nach der Erklärung Puigdemonts drohte sie mit der Anwendung des Artikels 155, der die Aussetzung der Autonomie und die Verhängung des Ausnahmezustandes ermöglichen würde.
Klar ist aber auch: Rajoy und Co. haben sich in eine Sackgasse manövriert. Sie konnten trotz des brutalen Vorgehens Tausender Polizisten und Zivilgardisten am 1. Oktober das Referendum nicht verhindern, weil sie schon im Vorfeld übersehen haben, dass der Unabhängigkeitsprozess nicht nur die Sache einiger weniger Separatisten ist. Statt dessen verschanzten sie sich hinter der Verfassung. Nur internationaler Druck und die Anerkennung Kataloniens als Konfliktpartei können deshalb den Weg für einen Dialog frei machen.
Wenn die katalanische Regierung ihre Entscheidung jedoch getroffen hat, ohne dass es eine greifbare Möglichkeit für solche Verhandlungen gibt, wird sie ihre eigene Basis nur schwer davon überzeugen können, dass der faktische Verstoß gegen das Referendumsgesetz ein notwendiger Schritt war. Dieses sieht nämlich ausdrücklich vor, dass die Unabhängigkeit innerhalb von 48 Stunden nach Vorliegen des Ergebnisses der Volksabstimmung vom 1. Oktober proklamiert werden muss.
Außer den rechtsliberalen »Ciutadans« (Bürger) und der PP fordern alle Parteien einen Dialog zwischen Madrid und Barcelona. Doch über die Inhalte möglicher Gespräche bestehen tiefe Meinungsverschiedenheiten. Die Sozialdemokraten setzen darauf, die Einheit Spaniens durch eine Verfassungsreform sichern zu können. Darauf konnten sie sich am Mittwoch offenbar mit der PP einigen – doch was das konkret für Katalonien bedeutet, ist völlig offen. Die Sozialdemokraten hatten immerhin am vergangenen Sonntag auch kein Problem damit, ihre Anhänger zur Großdemonstration gegen die Unabhängigkeit zu mobilisieren, die auch von rechten und faschistischen Gruppen und Parteien unterstützt wurde. Es kann sich also um den Versuch handeln, durch monatelange Verhandlungen über eine neue Verfassung die katalanische Bewegung zu zermürben.