Das ist ein Prozess in dem die Linke immer stärker wird

Trotz Verbots der Volksabstimmung: Katalanen wollen weiter die Unabhängigkeit von Madrid. Gespräch mit Quim Arrufat
Am 9. November sollte in Katalonien eine Volksabstimmung über eine Unabhängigkeit von Spanien stattfinden. Nachdem das spanische Verfassungsgericht dieses Referendum ausgesetzt hatte, zog der katalanische Regierungschef Artur Mas das Projekt zurück und setzte statt dessen für denselben Tag eine nicht bindende Volksbefragung an. Das hat zu einer Spaltung der prokatalanischen Parteien geführt. Warum?

Der gesamte Prozess in Katalonien geht von einer Basisbewegung aus, der Katalanischen Nationalversammlung (ANC), und wird von ihr getragen. Diese hat Millionen von Menschen, die am 9. November abstimmen wollen, zu Großdemonstrationen auf die Straße gebracht. In diesem Sinne finden wir es wichtig, Verantwortung zu übernehmen, und haben deshalb den Aufruf der ANC zur Einheit der politischen Kräfte unterstützt. Bis zum 21. Oktober haben wir ohne Erfolg versucht, die verschiedenen Parteien zusammenzuführen. Der Vertrauensbruch der Regierung und die anschließenden Debatten haben jedoch zu einer unwürdigen Situation geführt, deshalb haben wir uns aus der öffentlichen Diskussion herausgezogen. Wir arbeiten auf anderen Ebenen weiter für den 9. November und forcieren die Kampagne auf der Straße.

Wo liegen die Schwerpunkte dieser Kampagne?

Als Linke wollen wir die Unabhängigkeit, aber nur verbunden mit sozialen Veränderungen. Es wäre unsinnig, die spanische Flagge durch die katalanische ersetzen zu wollen, ohne auch einen sozialen Wandel zu fordern. Die Unabhängigkeit ist aber die Voraussetzung, um eine reale Demokratie aufzubauen. Für uns gelten drei voneinander untrennbare Ziele: Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Unabhängigkeit. Es muss eine Demokratie von unten geben, die nicht bestimmt ist durch die politische Macht der Parteien.

Geht es auch dem Großteil der Unabhängigkeitsbewegung tatsächlich um soziale Veränderungen?

In der Bewegung sind beide Positionen vertreten. Sehr viele Menschen sind für soziale Gerechtigkeit in einem neuen Staat. Die Umfrageergebnisse zeigen das. Zu Beginn des Prozesses war die konservative Regierungspartei CiU die führende Kraft. Inzwischen kommen die linken Kräfte auf doppelt so viele Stimmen wie die CiU.

Ich sehe die momentane Entwicklung als einen Befreiungsprozess, in dem die Linke immer stärker wird, weil das ganze System hinterfragt wird. Dadurch, dass etwas Neues geschaffen werden kann, kommt ein Motor in Gang; soziale, ökonomische und umweltpolitische Themen werden neu definiert. Das ist eine reale Chance.

Der 9. November wird nicht die Unabhängigkeit bringen. Aber wie geht es nach diesem Datum weiter?

Die Befragung kann nicht die Unabhängigkeit bringen, weil der spanische Staat das verboten hat. Das wird natürlich auch die Teilnahme beeinflussen, es wird kein definitives und repräsentatives Ergebnis sein. Dennoch ist die Durchführung ein großer Schritt. Die Bewegung hat die Forderung von der Straße in die Institutionen getragen. Wir zeigen am 9. November dem spanischen Staat und der ganzen Welt, dass wir uns unsere demokratischen Rechte nicht rauben lassen.

Nach der Befragung sollen dann »plebiszitäre Neuwahlen« stattfinden. Einerseits würden sie eine völlig neue Konstellation des Parlaments mit sich bringen, aber letztlich könnte so doch noch tatsächlich über die Unabhängigkeit abgestimmt werden.

Würde die CUP an solchen Wahlen teilnehmen, bei denen sich die Parteien für oder gegen die Unabhängigkeit positionieren, so dass die Abstimmung de facto ein Referendum wird?

Wir werden bei den Wahlen nicht als Partei kandidieren, sondern als Teil einer breiten Plattform mit anderen Kräften, die den Prozess ebenfalls als ein Mittel sehen, das politische und ökonomische System zu verändern. In dieser Richtung arbeiten wir jetzt bereits. Die Wahlen sind natürlich nicht das Ende des Prozesses. Selbst wenn es eine einseitige Unabhängigkeitserklärung und eine Mehrheit der Linken geben sollte, müssen noch viele Schritte folgen, um unserem Ziel eines freien und sozial gerechten Kataloniens näherzukommen.

Quim Arrufat ist für die antikapitalistische »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP) Abgeordneter im katalanischen Parlament
veröffentlicht in jw am 30_10_2014