Am 21. Dezember wird in Katalonien ein neues Parlament gewählt. Wie es danach weitergeht ist völlig offen
Am Dienstag haben die Parteien in Katalonien offiziell ihren Wahlkampf für die Abstimmung am 21. Dezember eröffnet. Die Neuwahlen zum Regionalparlament waren am 27. Oktober vom spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy angeordnet worden, nachdem der Senat in Madrid die faktische Aufhebung der Autonomie Kataloniens und die Absetzung der demokratisch gewählten Regionalregierung um Carles Puigdemont beschlossen hatte. Unmittelbar zuvor hatte das katalanische Parlament einen Antrag verabschiedet, der die Ausrufung einer unabhängigen Republik zum Inhalt hatte.
Seither wird Katalonien auf der Grundlage des Artikels 155 der spanischen Verfassung von Madrid aus zwangsverwaltet. Am 2. November wurden der Vizepräsident der Generalitat, Oriol Junqueras, und sieben weitere Minister der Regionalregierung in Untersuchungshaft genommen.
Der von Madrid abgesetzte katalanische Regierungschef Carles Puigdemont entzog sich zusammen mit vier Ministern der Verhaftung und hält sich seither in Belgien auf. Madrid betreibt seine Auslieferung. Am Dienstag hob das Oberste Gericht Spaniens allerdings den europäischen Haftbefehl gegen die fünf Politiker auf. Richter Pablo Llarena begründete die Entscheidung damit, dass die Verfahren gegen die Mitglieder der katalanischen Regierung nicht in den Händen mehrerer Gerichte liegen dürften. Der in Spanien geltende Haftbefehl bleibt allerdings bestehen.
Die liberale Demokratische Partei (PDECat) hat Puigdemont trotz dessen Abwesenheit zum Spitzenkandidaten ihrer Liste »Junts per Catalunya« (Gemeinsam für Katalonien) gemacht. Puigdemont meldete sich zum Wahlkampfauftakt per Videobotschaft bei seinen Anhängern. Die Wahl am 21. Dezember werde »die zweite Runde des 1. Oktober« werden, kündigte er an. Während ihr Spitzenmann also im belgischen Exil ausharrt, sitzt die Nummer zwei der Kandidatenliste, Jordi Sànchez, im Gefängnis. Dem früheren Chef der Bürgerinitiative »Katalanische Nationalversammlung« wird ebenso wie dem ebenfalls inhaftierten Vorsitzenden der Kulturvereinigung »Òmnium Cultural«, Jordi Cuixart, die Organisation gewaltfreier Großdemonstrationen als Aufruf zum Aufruhr ausgelegt. Ebenfalls aus dem Gefängnis muss Junqueras als Spitzenkandidat der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) den Wahlkampf führen.
Obwohl die Parteien der Unabhängigkeitsbewegung – neben PDE Cat und ERC die linksradikale CUP (Kandidatur der Volkseinheit) – die undemokratischen und ungleichen Voraussetzungen der Wahlen kritisieren, nehmen sie an der Abstimmung teil. Sie sehen darin die Chance einer Wiederaufnahme des republikanischen Kurses – den sie allerdings de facto selbst abgebrochen hatten. Während am 27. Oktober Tausende vor dem Parlament den Beschluss des Parlaments feierten, den sie als Proklamation der Unabhängigkeit verstanden, machten die Politiker von PDECat und ERC einen Rückzieher und überließen der spanischen Staatsmacht widerstandslos das Terrain. Die Generalsekretärin der ERC, Marta Rovira, erklärte dazu später, man haben »gesicherte Informationen« gehabt, dass die spanische Regierung eine militärische Erstürmung von Parlament und Generalitat vorbereitet habe. In dieser Situation habe man ein Blutvergießen vermeiden wollen.
Im Unterschied zu den Politikern setzten die Menschen auf der Straße den Kampf mit Großdemonstrationen, Kundgebungen und zwei Generalstreiks für die Freilassung der politischen Gefangenen fort. Eine Schlüsselposition haben dabei die im Zuge des Referendums entstandenen »Komitees zur Verteidigung der Republik« (CDR).
Fraglich ist allerdings, ob die Unabhängigkeitsbewegung erneut eine Mehrheit im Parlament erreichen kann. Am Montag veröffentlichten Umfrageergebnissen des Zentrums für soziologische Forschungen (CIS) zufolge werden die ERC und die spanisch-nationalistischen Ciutadans (Bürger) den Wahlsieg untereinander ausmachen. ERC, PDECat und CUP werden demnach zwar zusammen die meisten Sitze erreichen, eine absolute Mehrheit jedoch verfehlen. Doch auch das prospanische Lager wird den Prognosen zufolge keine Regierung bilden können, so dass dem Linksbündnis »Catalunya en Comú – Podem« (Katalonien gemeinsam – Wir können) eine Schlüsselrolle zukäme. Die von Xavier Domènech angeführte Liste, auf der auch Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau kandidiert, distanziert sich von beiden großen Blöcken und will die sozialen Themen wieder auf die Tagesordnung setzen. Spekuliert wird über die Möglichkeit einer Dreiparteienkoalition aus Catalunya en Comú, ERC und den prospanischen Sozialdemokraten der PSC.
veröffentlicht in jw am 6_12_2017