Bruch vertieft: Madrid hartes Vorgehen gegen Referendum stärkt Unabhängigkeitsbefürworter. Gewerkschafter kündigen Generalstreik an
In großer Zahl haben die Katalanen am Sonntag dem Verbot des von ihrem Regionalparlament angesetzten Unabhängigkeitsreferendums getrotzt. Trotz des an mehreren Orten brutalen Eingreifens von spanischer Nationalpolizei und Guardia Civil – Madrid hatte etwa 10.000 Beamte entsandt – und der Konfiszierung der Urnen in Hunderten Wahllokalen konnten am Ende mehr als 2 Millionen Stimmen ausgezählt werden. Aufgerufen waren 5,3 Millionen Wahlberechtigte. Für die Gründung einer unabhängigen Republik sprachen sich 90 Prozent der Teilnehmer aus, nur etwa 8 Prozent stimmten dagegen, weitere zwei Prozent gaben leere oder ungültige Stimmzettel ab.
Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont will das Resultat der Abstimmung nun dem katalanischen Parlament vorlegen und dieses auffordern, wie im Referendumsgesetz vorgesehen, einseitig die Sezession von Spanien zu erklären. Noch am Wahlabend hatte er vor der Presse erklärt, Katalonien habe sich am Sonntag »das Recht auf Unabhängigkeit verdient.« Für die linke katalanische Republikanische Unabhängigkeitspartei (ERC) forderte Marta Rovira in einem Interview für den regionalen Sender TV3 die EU auf, in dem Konflikt Position zu beziehen. Eine »Mediation« von dieser Seite sei jedoch nicht gefragt. »Was wir brauchen, ist eine EU, die interveniert, wenn es um die Verteidigung fundamentaler demokratischer Rechte geht.«, mahnte die Politikerin.
Die Regierung in Madrid sieht die Sache etwas anders. Ministerpräsident Mariano Rajoy von der konservativen Volkspartei (PP) kam auf die Polizeigewalt bisher nicht mit einem Wort zu sprechen, sondern dankte der Nationalpolizei und Guardia Civil für ihren Einsatz. »Wir haben gemacht, was wir machen mussten.«, erklärte der Regierungschef am Sonntag abend in Madrid. Ein Referendum habe »nicht exisiert«, und Richtschnur des Handelns seien »einzig Recht und Gesetz« gewesen. Es habe sich gezeigt, dass »unser demokratischer Staat in der Lage ist, sich zu verteidigen«, betonte Rajoy. Am Montag legte Justizminister Rafael Catalá nach und sprach in Trumpscher Manier von »mehr Belästigungen der Polizisten als Gewalt durch Polizisten«.
Für Montag nachmittag wurden von Rajoy die Parteichefs der oppositionellen Sozialisten (PSOE), Pedro Sánchez, und der liberalen Ciudadanos, Albert Rivera, zu Konsultationen in den Regierungssitz einbestellt. Die PSOE »schämt sich« laut einer Erklärung von Sánchez für die Polizeigewalt. Seine Kritik an der Eskalation der Lage ging zuerst an Puigdemont, richtete sich dann aber auch an Rajoy. Bei den Konsultationen soll es um eine mögliche Anwendung von Artikel 155 der spanischen Verfassung im Konflikt mit Katalonien gehe. Dieser erlaubt eine Aussetzung der Autonomie der Region, und damit eine faktische Entmachtung der dortigen Exekutive. Während Rivera einen solchen Schritt bereits forderte, hat Sánches dies bisher abgelehnt. Das muss nicht so bleiben, denn es gibt auch andere einflussreiche Stimmen in seiner Partei – darunter die des früheren Ministerpräsidenten Felipe González, der schon seit längerem nach der Reissleine ruft.
Für das linke Bündnis Unidos Podemos fordert ihr Chef Pablo Iglesias in einer Erklärung das Parlament in Madrid zu einem Misstrauensvotum auf, um die Regierung Rajoy zu Fall zu bringen. Spanien befinde sich in einer »ernsten Staatskrise« und die Konservativen seien zum richtigen Umgang mit ihr »nicht in der Lage«.
In Katalonien selbst wird nun erst recht für die Unabhängigkeit demonstriert. Am Montag nachmittag zogen Tausende auf Aufruf studentischer Organisationen durch Barcelona. Die Losungen »Wir haben gewählt!« und »Die Straßen gehören uns! waren zu hören. Für morgen haben etliche Gewerkschaften, darunter mit UGT und CCOO auch die stärksten, zu einem Generalstreik in ganz Katalonien aufgerufen.
veröffentlicht in jw_2_10_2017 von Mela Theurer und Carmela Negrete