Kataloniens Ministerpräsident Artur Mas steht wegen Volksbefragung über die Unabhängigkeit vor Gericht
Tausende Menschen säumten am Donnerstag den »Passeig Lluis Companys« in Barcelona. Auf den Tag vor 75 Jahren, am 15. Oktober 1940, wurde der demokratisch gewählte Präsident der Katalanischen Generalitat, nach dem diese Straße benannt ist, von Franquisten ermordert. Lluis Companys war in seinem Exil in Frankreich von der deutschen Wehrmacht verhaftet, nach Spanien ausgeliefert und dort exekutiert worden. Zufall oder doch etwa Absicht, dass genau an diesem Jahrestag einem weiteren katalanischen Regierungschef der Prozess gemacht wird?
Neben Artur Mas sind die Bildungsministerin Irene Rigau und die ehemalige Vizepräsdentin des katalanische Parlaments, Joana Ortega, angeklagt. Allen dreien wird ziviler Ungehorsam, Machtmissbrauch sowie die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Insgesamt können diese drei Delikte mit Aufhebung der Immunität, Freiheitsstrafen von bis zu sechs Jahren sowie einem Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter von bis zu zehn Jahren belegt werden.
Hintergrund der Anklage ist die Durchführung der Volksbefragung, die am 9. November 2014 über die Unabhängigkeit Kataloniens abgehalten wurde und bei der über 80 Prozent der Teilnehmer für einen unabhängigen Staat gestimmt hatten. Artur Mas hatte auf Druck der Basisbewegungen das Gesetz für die Durchführung von Volksabstimmungen verabschiedet und das Dekret für die Abhaltung eines Referendums über die Unabhängigkeit unterzeichnet. In einem Eilverfahren erklärte das spanische Verfassungsgericht – auf Eingabe der Zentralregierung in Madrid hin – dies als illegal. Daraufhin transformierte die katalanische Regierung das Referendum in eine nichtbindende Volksabstimmung um, die vor knapp einem Jahr erfolgreich durchgeführt wurde.
Am 21. November 2014 wurde dann Anklage gegen Mas, Rigau und Ortega erhoben und am 17. Februar diesen Jahres der dagegen erhobene Widerspruch abgelehnt. Die für die Unabhängigkeit stehenden linksliberalen Parteien werten die Anklage als politische Justiz und mobilisieren ebenso wie die Basisbewegungen dagegen. Bereits am vergangenen Dienstag, als Rigau und Ortega vor den Obersten Gerichtshof Kataloniens vorgeladen waren, wurden diese von Massen unterstützt und mit Solidaritätsrufen begleitet. Am selben Abend wurde in über 600 Gemeinden ein gemeinsames Manifest verlesen, in Barcelona von Bürgermeisterin Ada Colau vom Bündnis Barcelona Gemeinsam (BeC), in dem auch die linke Bürgerplattform Podemos vertreten ist. Artur Mas selbst erfuhr am Donnerstag bei seinem Gang vor Gericht breite Solidarität. Gestärkt durch die moralische und poltische Unterstützung erklärte er: »Ich habe den Willen der Basis respektiert und einen demokratischen Prozess eingeleitet. Dafür übernehme ich die alleinige und volle Verantwortung.«
veröffentlicht in jw am 17_10_2015