Ein Jahr nach dem Unabhängigkeitsreferendum fordern DemonstrantInnen die Umsetzung des Wahlergebnisses. Die katalanische Polizei antwortet mit Foam-Geschossen und Schlagstöcken
Ein Jahr nach dem durch die Madrider Zentralregierung verbotenen und trotz extremer Repression erfolgreich durchgeführten Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien kam es am gestrigen Montag im Anschluss an eine Demonstration zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Diesmal waren es jedoch weder das spanische Nationalcorp noch die paramilitärische Guardia Civil, die in den Abendstunden auf die meist jugendlichen Demonstranten einschlugen. Diese waren zum katalanischen Parlament mit der Forderung vorgedrugen, das Wahlergebnis vom Vorjahr zu materialisieren. Unter dem Motto: “Republik jetzt” nahmen sie Präsident Quim Torra beim Wort, der noch am Vormittag der Basis den Rücken stärkte. Nach einer
symbolischen Regierungstagung in dem vor einem Jahr von der Nationalpolizei zerstörten Wahllokal, wo sein Vorgänger Carles Puigdemont den Stimmzettel abgeben sollte, hatte Torra erklärt: “Es ist gut, wenn die Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) Druck auf die Parteien ausüben. Das soll auch weiterhin so sein!” Doch am Abend war der Druck wohl zu gross und kurzerhand wurden die Demonstranten vor dem Parlament geräumt.
Torra zeigte auch Volksnähe und Einheitswunsch im Anschluss an eine Schüler- und Studentendemo. Persönlich trat er vor Tausende von Demonstranten und versprach: “Habt Vertrauen. Die Regierung wird die Vorgänge vom vergangenen Samstag untersuchen,” nachdem Sprechchöre die Absetzung des katalanischen Innenminister Miquel Buch gefordert hatten. Dieser war in Kritik geraten, nach dem er das seit dem 11. September auf dem Rathausplatz installierte Camp für eine freie katalanische Republik wegen einer Veranstaltung der Polizeigewerkschaft Jusapol räumen liess. Diese wollte unter dem Vorwand einer Angleichung des Gehalts an das ihrer katalanischen Kollegen ihrem Einsatz vom 1. Oktober letzten Jahres abhalten, wo bei dem Versuch den Volksentscheid über die Unabhängigkeit Kataloniens zu verhindern, 1066 Personen verletzt wurden. Allein in Barcelona laufen deswegen derzeit 24 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten. 24 Verletzte hatte der Einsatz der Mossos d’Esquadra gefordert, als diese die Gegendemonstration angriffen.
Trotz dieser Spannungen hatte der Jahrestag des Referendums mit Besonnen- und Entschlossenheit und einer Vielfalt an Aktionen begonnen. Ziele der CDR waren wirtschaftliche und industrielle Zentren. Banken, Finanzeinrichtungen und Zufahrtswege zu Industriegebieten wurden blockiert Immer wieder wurden auch zentrale Verkehrsadern der katalanischen Metropole und Autobahnen blockiert und Mautstationen geöffnet
Die Schnellverkehrsverbindung von Girona nach Madrid war während drei Stunden unterbrochen, nach dem um die 400 Personen wie bereits im Vorjahr die Gleise besetzt hatten. Die Demonstranten zogen danach zur spanischen Regierungsvertretung, um dort die spanische Flagge vom Gebäude zu holen. Auch in anderen katalanischen Städten und Gemeinden wurden die Mobilisierungen, die bereits am Wochenende begonnen hatten, fortgesetzt. In verschiedenen Wahllokalen wurden Gedenkveranstaltungen an die Polizeigewalt abgehalten und erneut symbolisch gewählt. Schüler- und Studentenproteste gab es in verschiedenen Städten, in Barcelona folgten 50.000 Schüler und Studenten laut Veranstalter, 15.000 nach Polizeiangaben dem Aufruf nach einer sofortigen Umsetztung des Votums vom letzten Jahr. Bei einer Demonstration der CDR für eine freie katalanische Politik, die Freilassung der politischen Gefangenen und gegen die Kriminalierung der Unabhängigkeitsbewegung kam es vor der Börse in Barcelona am frühen Nachmittag zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Vielfältig und bunt war die Erinnerung an den Jahrestag. Zu einer zentralen Demonstration am frühen Abend hatten die Kulturvereinigung Omnium Cultural und die katalanische Nationalversammlung ANC aufgerufen, an der nach Polizeiangaben 180.000 Personen teilnahmen. An deren Anschluss waren einige Demonstranten zum Parlament vorgedrungen, andere bewarfen das Kommissariat der Nationalpolizei mit leeren Bierdosen und errichteten Strassensperren. Auch gegen sie gingen die Mossos d’Esquadra vor. Pablo Casado, Chef postfranquistische Volkspartei PP forderte Quim Torra wegen seiner Ermutigung der CDR zum Rücktritt auch und für die Cituadanos (Bürger) waren dessen Äusserungen unhaltbar. Der spanische Innenminister Borrell hingegen kündigte an, weiterhin auf Dialog zu setzen. Torra stellte am Montag der Regierung ein Ultimatum. Sollte es innerhalb eines Monats keinen Pakt über ein neues Unabhängigkeitsreferendum geben, könne er Pedro Sánchez keine Unterstützung mehr garantieren. Regierungssprecherin Celaá erklärte, ihre Regierung sei nicht erpressbar und man könne über ein Zusammenleben aber nicht über Unabhängigkeit verhandeln.
verkürzt veröffentlicht in jw_vom 4_10_2018