Meinungsfreiheit versus Propaganda

Wahlbehörde begreift Live-Übertragung der Großdemonstration für die Unabhängigkeit in Katalonien als Wahlpropaganda
Angenommen, die Antikriegsbewegung veranstaltet eine Massendemonstration, zu der über eine Million Menschen erwartet werden. Das ist vielleicht ebenso unrealistisch wie die Annahme, dass ein öffentlich-rechtlicher Fernsehsender ankündigt, darüber live zu berichten.

Stellen wir uns weiter vor, dass das inmitten des Wahlkampfes geschieht. Die Parteien, die einen Einsatz der Bundeswehr befürworten, sehen die Übertragung als Wahlpropaganda der Antikriegsparteien und fordern den Sender auf, sie abzusetzen.

Die zuständige Wahlaufsicht gibt schließlich den Kriegstreiberparteien recht und zwingt den Fernsehsender, die für die Livesendung aufgewendete Zeit den klagenden Parteien für ihre Wahlpropaganda zur Verfügung zu stellen.

So erging es dem katalanischen Fernsehsender TV3, als er am 11. September, dem katalanischen Nationalfeiertag »La Diada«, wie bereits seit zwei Jahren live über die geplante Veranstaltung unter dem Motto »Weg frei für eine katalanische Republik« berichten wollte. Zu dieser Veranstaltung, zu der die katalanische Nationalversammlung (ANC) und die Kulturorganisation Òmnium Cultural aufgerufen hatten, wurde über eine Million Menschen erwartet. Die Parteien, die sich gegen eine Loslösung vom spanischen Staat stellen, sahen durch die Ausstrahlung der Veranstaltung eine Parteinahme für die Unabhängigkeitsbewegung und forderten die Absetzung der Sendung.

Die Wahlaufsichtsbehörde gestattete am Vorabend des Feiertages zwar die Ausstrahlung, entschied jedoch gleichzeitig, dass den klagenden Parteien eine entsprechende Sendezeit für ihre Wahlpropaganda zur Verfügung gestellt wird. Die Dachorganisation »Corporació Catalana de Mitjans Audiovisual« (CCMA), der TV3 und Catalunya Ràdio angehören, bot daraufhin am Sonntag den fünf Parteien drei Stunden Raum für Interviewsendungen an. Das wurde jedoch abgelehnt und in einer Eilresolution entschied die Wahlaufsicht wiederum gegen die CCMA. Es müsse Raum für eigene Wahlpropaganda gewährt werden, das sei aber in einer Interviewsituation nicht garantiert.

Dagegen hat die CCMA inzwischen Widerspruch eingelegt. Unklar bleibt, wie die Behörde zu ihrer Entscheidung kam. Der katalanische Journalistenverband »Collegi de Periodistes de Catalunya« hat die Vorgänge um die TV-Übertragung jedenfalls vor das Menschenrechtstribunal in Strasbourg gebracht.
veröffentlicht in jw am 17_9_2015