Ein besetztes soziales Zentrum in Barcelona kämpft gemeinsam mit der Nachbarschaft um seinen Erhalt
Seit über einer Woche blickt nicht nur die Lokalpresse auf das Viertel Gràcia. Spaniens Medien berichten aus dem Stadtteil von Barcelona, denn dort finden täglich Straßenkämpfe statt, Autos und Müllcontainer stehen in Flammen, über 100 Demonstranten wurden bisher verletzt. Auslöser war die Räumung der besetzten, selbstverwalteten »Banc Expropiat« (enteignete Bank). Diese war zum Symbol des Widerstands gegen Polizeigewalt und opportunistische Politik geworden.
Am Vormittag des 25. Mai drangen über 50 Polizisten in das Gebäude ein.
Sie brauchten über acht Stunden, um das Haus zu räumen – zwei Aktivisten hatten sich im Tresor der ehemaligen Bank eingeschlossen. Über das Internet mobilisierten die Besetzer ihre Unterstützer. Bis zu 3.000 Menschen versammelten sich, um gegen die Räumung zu protestieren. Ziel war es, das ehemalige soziale Zentrum wiederzubesetzen. Die Polizei reagierte mit Provokationen und Gewalt. Das Viertel wurde abgesperrt, brutal gingen die Einsatzkräfte gegen die Demonstranten vor. Scheiben gingen zu Bruch und Müllcontainer brannten.
Die »Banc Expropiat« war vor fünf Jahren im Zuge der Bewegung des 15. Mai, der Bewegung der »Indignados« besetzt worden. Die ehemalige Bankfiliale wurde schnell zur Anlaufstelle für die Nachbarschaft aus dem von Luxussanierung und Umstrukturierung geprägten Viertel. Die Bewohner von Gràcia brachten sich mit ein: Es wurden Rechtsberatungen, kostenlose Sprachkurse und Sportangebote organisiert. Daneben wurden Lebensmittel und Kleidung gesammelt und verteilt. Doch die breite Akzeptanz für das soziale Zentrum war der Stadtverwaltung von Barcelona von Anfang an ein Dorn im Auge.
Das Gebäude wechselte während der Zeit der Besetzung mehrfach den Eigentümer, bis es schließlich von der Immobilienfirma Antartic Vintage gekauft wurde. Diese ging juristisch gegen die »Banc Expropiat« vor und erwirkte Mitte 2014 einen Räumungstitel. Dieser wurde indes im selben Jahr vorübergehend ausgesetzt.
Damals hatte die konservative Stadtregierung mit dem Besitzer von Antartic Vintage, Manuel Bravo Solano, einen Vertrag ausgehandelt: Für über 60.000 Euro Miete wurde das Bestehen der »Banc Expropiat« gesichert. Der damalige Bürgermeister von Barcelona, Xavier Trias, wollte unter allen Umständen den sozialen Frieden wahren. Denn 2014 kam es bereits bei der Räumung des besetzten sozialen Zentrums »Can Vies« zu tagelangen Straßenschlachten. Am Ende konnte das »Can Vies« zurückgewonnen werden.
Gegen Trias wird mittlerweile wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder ermittelt, und nach den Wahlen im vergangenen Jahr hat das Linksbündnis »Barcelona en Comú« (BeC, Barcelona Gemeinsam) die Stadtregierung übernommen. Mit Ada Colau wurde sogar eine Aktivistin aus der Bewegung gegen Zwangsräumungen zur neuen Bürgermeisterin.
Ende Dezember lieft der mit Antartic Vintage geschlossene Vertrag für die »Banc Expropiat« aus und wurde nicht erneuert. Der Räumungstitel war somit wieder in Kraft.
Kurz nachdem die Polizei das Haus geräumt hatte, erklärte die Stadtverwaltung noch, es handle sich bei der Auseinandersetzung in Gràcia um einen »Privatkonflikt«. Doch nach über einer Woche mit Demonstrationen und Straßenschlachten schaltete sich Colau ein und bot den Besetzern an, einen anderen Ort zu suchen, was diese jedoch ablehnten.
Am Montag nahm die Stadtverwaltung Verhandlungen mit Immobilienunternehmer Bravo Solano über einen möglichen Kauf des Gebäudes auf. Doch die Gespräche scheiterten bereits einen Tag später, als dieser einen Kaufpreis von einer halben Million Euro verlangte. Unterdessen haben die Hausbesetzer die Aktivitäten und Angebote für die Nachbarschaft auf die Straße verlagert. Ihr Ziel bleibt es indes, in die ehemalige Bankfiliale zurückzukehren.
veröffentlicht in jw am 2_6_2016