Spiel auf Zeit

Foto: Mela Theurer

Katalanische Parteien streiten um Vertagung von Parlamentssizung

Mit Spannung war am Dienstag die angekündigte Wahl eines Ministerpräsidenten durch das katalanische Parlament erwartet worden. Würde der Ende Oktober von der spanischen Regierung abgesetzte Regierungschef Carles Puigdemont aus dem belgischen Exil zurückkehren, um sein Programm vorzustellen? Das spanische Verfassungsgericht hatte am Samstag seine persönliche Anwesenheit im Parlament zur Bedingung für die Wahl gemacht. Doch bei einer Rückkehr nach Spanien drohen Puigdemont wegen der Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober bis zu 30 Jahre Haft.

Bereits am Vormittag verkündete Parlamentspräsident Roger Torrent von der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) allerdings, die Plenartagung zu verschieben. Seitdem herrscht dicke Luft im Lager der Unabhängigkeitsbefürworter. Die vier Abgeordneten der antikapitalistischen Kandidatur der Volkseinheit (CUP) erschienen am Dienstag nachmittag symbolisch im leeren Plenarsaal und forderten Torrent auf, seine Entscheidung zu revidieren. Herbe Kritik an der Verschiebung äußerte auch Puigdemonts Fraktion Gemeinsam für Katalonien (JxCat). Torrent hatte allerdings betont, dass er nach wie vor an Puigdemont als einzigem Kandidaten festhalte und keine Einmischung in die Souveränität des Parlamentes tolerieren werde.

Auf die Vertagung der Wahl zum Regierungschef reagierte auch die Basisbewegung. Die Bürgerinitiative Katalanische Nationalversammlung (ANC) und die Kulturvereinigung Òmnium Cultural, deren ehemalige Vorsitzende Jordi Sànchez und Jordi Cuixart seit über 100 Tagen inhaftiert sind, riefen unter dem Motto »Wir sind die Republik« zu Solidaritätskundgebungen für Puigdemont auf. Tausende Demonstranten zogen am Dienstag abend von Barcelonas Rathaus zum Parc de la Ciutadella, in dem sich das Parlamentsgebäude befindet. Auch die autonom organisierten Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) mobilisierten Protestmärsche aus verschiedenen Stadtteilen der katalanischen Metropole zum Stadtpark. Dort trafen sie auf die katalanische Regionalpolizei Mossos d‘Esquadra, die seit der Aufhebung der Autonomie am 27. Oktober spanischer Befehlsgewalt untersteht. Hunderte Demonstranten durchbrachen die Absperrungen. Es gab mehrere Verletzte, von denen drei im Krankenhaus behandelt werden mussten. Zwei Personen wurden vorübergehend festgenommen, kamen jedoch um Mitternacht wieder frei. Zeitweilig schlugen Aktivisten im Park Zelte auf.

Die Basisgruppen kritisieren das Spiel auf Zeit. Manche fühlen sich von den Politikern verraten, weil diese dem im Referendum erteilten Mandat nicht nachkämen. Bei der von Madrid untersagten Abstimmung hatten am 1. Oktober rund 90 Prozent der Teilnehmer für die Bildung einer unabhängigen katalanischen Republik votiert. Bei den von der spanischen Zentralregierung angesetzten Parlamentswahl am 27. Dezember konnten die Parteien der Unabhängigkeitsbefürworter zudem erneut eine knappe Mehrheit der Sitze erreichen. Madrid versucht allerdings, eine Rückkehr Puigdemonts in das Amt des Regierungschefs zu verhindern. Dabei kann die spanische Regierung auf die Unterstützung des Verfassungsgerichtes zählen. Dieses verbot eine Teilnahme Puigdemonts per Videokonferenz an der Plenarsitzung und verlangte zudem, dass sich der Politiker seine Anwesenheit im Parlament vom Ermittlungsrichter Pablo Llarena genehmigen lassen solle. Puigdemont lehnt das jedoch ab und beruft sich auf seine parlamentarische Immunität.

Ein Ausweg aus der verfahrenen Situation ist derzeit nicht in Sicht. Sollte es innerhalb von zwei Monaten zu keiner Regierungsbildung kommen, gibt es Neuwahlen.

veröffentlicht in jw am 1_2_2018