Kataloniens Ex-Präsident und vier Minister unter Auflagen aus Gewahrsam in Belgien entlassen
Die belgische Justiz hat in der Nacht zu Montag entschieden, den ehemaligen Präsidenten der katalanischen Generalitat, Carles Puigdemont, und vier seiner Minister nicht in Untersuchungshaft zu nehmen. Alle fünf wurden unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Puigdemont, Meritxell Serret, Antoni Comín, Lluís Puig und Clara Ponsatí hatten sich am Sonntag vormittag den Behörden gestellt, nachdem am Vorabend der spanische Staat gegen sie internationale Haftbefehle erlassen hatte. Madrid wirft ihnen vor, zum Aufruhr aufgerufen, Geldern in Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober veruntreut und sich gegen die Staatsgewalt aufgelehnt zu haben. Allein bei Verurteilung wegen Rebellion drohen ihnen bis zu 30
Jahre Gefängnis.
Die Politiker hatten sich Anfang vergangener Woche überraschend nach Brüssel abgesetzt. Dort erklärte Puigdemont in einer Pressekonferenz, er suche kein Asyl in Belgien. Vielmehr ginge es um die Internationalisierung des Konfliktes zwischen Katalonien und dem spanischen Staat. Madrid hatte bereits vor der einseitigen Erklärung der Unabhängigkeit durch das Regionalparlament in Barcelona am 27. Oktober allein auf Repression gesetzt. In einem Deal mit der sozialdemokratischen PSOE und mit Unterstützung der rechtsliberalen Ciutadans hatte die regierende postfranquistische Volkspartei (PP) Artikel 155 der Verfassung angewandt. Damit wurde der Autonomiestatus der Region suspendiert sowie die Generalitat und die katalanische Verwaltung unter Kontrolle Madrids gestellt.
Puigdemont sieht sich indes trotzdem als Repräsentant einer unabhängigen katalanischen Republik. Mit seiner Reise nach Belgien gelang es ihm, weiterhin politisch aktiv zu bleiben. Im Gegensatz zu seinem Vize Oriol Junqueras und sieben anderen Ministern, die nach Anhörungen vor dem Sondergerichtshof Audiencia Nacional de España am vergangenen Donnerstag verhaftet worden waren. Die Zahl der katalanischen politischen Gefangenen erhöhte sich damit auf zehn. Bereits seit dem 16. Oktober befinden sich der Vertreter der katalanischen Nationalversammlung, Jordi Sànchez, und Jordi Cuixart von der Kulturorganisation Òmnium Cultural in Untersuchungshaft. Ihnen wird Aufruf zur Rebellion vorgeworfen.
Die Justiz in Belgien muss nun den internationalen Haftbefehl und den Auslieferungsantrag gegen Puigdemont und seine Minister prüfen, was bis zu 60 Tagen dauern kann. Der ehemalige belgische Premier Elio Di Rupo bezeichnete unterdessen den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy im Internet als »franquistischen Hardliner«. Vizepremier und Innenminister Johan Jambon sprach davon, Madrid sei zu weit gegangen und würde unverhältnismäßig reagieren.
In Katalonien demonstrierten bereits am Donnerstag und Freitag Tausende Menschen vor dem katalanischen Parlament und Rathäusern, für die Freilassung der politischen Gefangenen. Auch am Sonntag kam es unter anderem in der Universität von Barcelona und in Lleida zu Protesten gegen die Maßnahmen Madrids. Für den morgigen Mittwoch rufen Gewerkschaften zum Streik auf; für Sonnabend ist dann eine Großkundgebung in Barcelona geplant. Aktivisten haben zudem angekündigt, am 6. Dezember, dem Tag der spanischen Verfassung, in Brüssel zu demonstrieren.
Die Partei von Puigdemont, die liberale Katalanische Europäische Demokratische Partei (Pdecat), kündigte am Sonntag an, mit ihm als Spitzenkandidaten zu den von Madrid angesetzten Neuwahlen am 21. Dezember anzutreten. Ziel sei zudem, eine Einheitsliste mit der Republikanischen Linken (ERC) und der antikapitalistischen Kandidatur für die Volkseinheit (CUP) zu schaffen. Letztere will am Sonntag darüber entscheiden, ob sie ein Bündnis mit den anderen Befürwortern der Unabhängigkeit eingehen und damit auch die Forderungen nach Amnestie für die Inhaftierten, Wiedererlangung der Kontrolle über die Verwaltung und der Konsolidierung der Republik vertreten.
Am Sonntag erklärte PSOE-Generalsekretär Pedro Sánchez auf dem Parteikongress, dass sich unter einer sozialdemokratischen Regierung der Konflikt mit Katalonien nicht so weit zugespitzt hätte und dass die Lösung eine politische und keine juristische sein müsse. Zu dem Widerspruch, dass er mit der Zustimmung zur Anwendung des Artikels 155 den Weg für eine juristische Verfolgung freimachte, sagte er indes nichts.
veröffentlicht in jw am 7_11_2017