Regionalwahlen in Katalonien: Absolute Mehrheit für Unabhängigkeitslager
Bei den Parlamentswahlen in Katalonien haben die für eine Unabhängigkeit der Region von Spanien eintretenden Listen – »Junts pel Sí« (Gemeinsam für das Ja) von Ministerpräsident Artur Mas und die antikapitalistische »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP) – zusammen die meisten Mandate erreicht. Eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen haben sie jedoch knapp verfehlt. Zweitstärkste Kraft im Parlament wurden die prospanischen »Ciutadans« (Bürger), gefolgt von den Sozialdemokraten der PSC.
Der 27. September war kein Tag wie jeder andere.
5.314.736 Menschen waren am Sonntag in Katalonien aufgerufen, neben der Verteilung der 135 Sitze des Parlaments auch über die Unabhängigkeit der autonomen Gemeinschaft abzustimmen. Am 3. August hatte der katalanische Regierungschef Artur Mas die vorgezogenen Parlamentswahlen angesetzt und zu einer Abstimmung über die Loslösung vom spanischen Staat erklärt. Das war eine Reaktion darauf, dass eine im vergangenen Jahr geplante Volksabstimmung über die Abspaltung von Spanien durch das Verfassungsgericht in Madrid verboten worden war. So wurde der 27. September zu einem »magischen« Datum, dem sich niemand entziehen konnte. Bereits am frühen Morgen erreichten mich die ersten Anfragen von Freunden aus Deutschland, Rom und Istanbul: Wie es denn aussehe, welche Prognosen es gebe. Das waren schwierige Fragen, denn selten zuvor gab es Umfragen zufolge so viele Unentschlossene.
Die Bündnisliste »Junts pel Sí« mit dem ehemaligen Europaabgeordneten der linksgrünen ICV Raül Romeva an der Spitze will Artur Mas zum Präsidenten einer katalanischen Republik machen. Ihr gehören neben der konservativen Regierungspartei »Demokratische Konvergenz« (CDC) die sozialdemokratische »Republikanische Linke« (ERC) sowie neben kleineren, außerparlamentarischen Parteien die ehemaligen Präsidentinnen der Bürgerbewegung »Katalanische Nationalversammlung«, Carme Forcadell, und der Kulturorganisation Ómnium Cultural, Muriel Casals, an. Desweiteren fand man auf der Liste renommierte Namen aus der Welt der Musik, der Kultur und des Sports, etwa den Liedermacher Lluis Llach und Bayern-Trainer Pep Guardiola.
Als Alternative bot sich die linke, antikapitalistische CUP an. Sie will noch radikaler den Bruch mit dem Spanischen Staat und geht vor allem in ihren Forderungen nach einem Ende der neoliberalen Politik und des Sozialabbaus sowie für den Aufbau einer sozialistischen Republik deutlich weiter als die Liste von Mas. Auf keinen Fall will die CUP diesen als Präsidenten akzeptieren. Nun sind sie das Zünglein an der Waage.
Die prospanischen Ciutadans, eine bürgerliche Protestpartei, wurden zweitstärkste Kraft. Mit ihrer 32jährigen Spitzenkandidatin Inés Arrimadas und dem Vorsitzenden Albert Rovira standen bei ihnen neue, junge Gesichter für alte, rechte Inhalte. Die »Einheit Spaniens« ist ihr Programm, ebenso wie bei der in Madrid regierenden Volkspartei (PP) und den Neofaschisten, mit denen sie alljährlich am 12. Oktober, dem Kolumbus-Tag, gegen Unabhängigkeitsbestrebungen auf die Straße gehen. Während viele Länder Amerikas an diesem Datum des Genozids an der indigenen Bevölkerung gedenken, feiern die Rechten Spaniens den »Tag der Rasse«, der heute offiziell »Tag der Hispanität« heißt.
Der Erfolg der »Ciutadans« wird ihnen Rückenwind für die spanischen Parlamentswahlen am 20. Dezember verleihen. Ihr Stimmenzuwachs ging zum Großteil zu Lasten der PP. Korruptionsskandale und verkrustete Strukturen haben diese geschwächt, und selbst ihr rechtspopulistischer Kandidat Xavier Albiol, der frühere Bürgermeister von Badalona, konnte die Karre nicht aus dem Dreck ziehen.
Die katalanischen Sozialdemokraten konnten mit ihrem Spitzenkandidaten Miquel Iceta zwar zulegen, doch trotz Unterstützung der Schwesterpartei aus Madrid konnten sie mit ihrem gegen die Forderung nach Unabhängigkeit gesetzten Modell eines föderalistischen Spaniens nicht überzeugen. Ein Erfolg für die Sozialdemokraten ist jedoch, dass sie deutlich vor dem Linksbündnis »Catalunya Sí que es Pot« geblieben sind, zu dem neben der traditionellen katalanischen Linken ICV und EUiA auch die spanische Protestpartei Podemos gehören. 8,9 Prozent der Stimmen sind für diese Liste enttäuschend, nachdem ihr im Sommer noch bis zu 24 Prozent prognostiziert worden waren. Ein Grund für das schwache Abschneiden dürfte gewesen sein, dass sich die Linksallianz in der Frage der Unabhängigkeit gespalten präsentierte. Spitzenkandidat Lluís Rabell, der während des gesamten Wahlkampfs im Schatten von Podemos-Star Pablo Iglesias blieb, konnte sich nur für das Recht der Katalanen aussprechen, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden – das war diesmal zu wenig.
veröffentlicht in jw am 28_9_2015