Justiz und Terror

Foto: Mela Theurer

Zehntausende demonstrierten in Pamplona für Jugendliche, die wegen eines Streits mit zwei Beamten der Guardia Civil angeklagt sind

»Gerechtigkeit statt Terrorismus« forderten die Demonstranten in Pamplona am Samstag in Solidarität mit acht Jugendlichen aus Alsasua in der Provinz Navarra. Die Veranstalter sprachen von 50.000 Teilnehmern, laut Polizei waren es 38.000, die auf die Straße gingen, damit die jungen Menschen einen fairen Prozess bekommen. Das Verfahren beginnt am heutigen Montag vor dem spanischen Sondergerichtshof »Audiencia Nacional«. Mit der Terrorismusanklage drohen den acht Jugendlichen bis zu 50 Jahre Haft. Drei von ihnen befinden sich seit über 16 Monaten in

Untersuchungshaft.

Ausgangspunkt war eine Auseinandersetzung in der Nacht auf den 15. Oktober 2015 in einer Bar in der Kleinstadt Alsasua. Über den Verlauf der Schlägerei zwischen den acht Angeklagten mit zwei in Zivil gekleideten Beamten der Guardia Civil und deren Freundinnen gibt es konkurrierende Versionen. Einer der Polizisten musste später am Bein operiert werden, die beiden Freundinnen und sein Kollege hatten Prellungen und Hämatome erlitten.

Was als Streit in einer Bar begann, endete jetzt vor dem Sondergericht. Drei Tage nach den Ereignissen hatte die »Vereinigung der Opfer des Terrorismus« den Fall dort vorgetragen und die Richterin Carmen Lamela befand, dass dem Handeln der Jugendlichen »Hass gegen die Guardia Civil« zugrunde läge. Deren Sympathie bzw. Aktivität in der Bewegung »Alde hemendik« (Besatzungskräfte raus), nahm sie zum Anlass, die Auseinandersetzung als zielgerichteten Akt gegen die Guardia Civil und deren soziales Umfeld zu deklarieren. Der Antrag der Familien, die Angelegenheit im Rahmen eines normalen Strafprozesses vor dem Landesgericht zu verhandeln, wurde – wie auch der Befangenheitsantrag gegen die vorsitzende Richterin – abgelehnt. Richterin Concepción Espejel ist mit einem Oberst der Guardia Civil verheiratet und hat unter anderem für die Sicherung der Interessen des Vaterlandes deren Verdienstkreuz erhalten.

»Es ist absolut unangemessen, in diesem Zusammenhang von Terrorismus zu sprechen. Wir wollen keine Straffreiheit, sondern einen fairen Prozess«, erklärt Bel Pozueta, Mutter eines Angeklagten dem katalanischen Fernsehsender TV3. Nicht nur die Angehörigen sehen den Terrorismusvorwurf als unverhältnismäßig an, auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty fordert, ihn fallenzulassen.

Der spanische Staat scheint inzwischen vieles unter Terrorismus zu fassen, was in der Unabhängigkeitsbewegung sowie linken und antifaschistischen Gruppen geschieht. Die Kriminalisierung der katalanischen Politiker und Aktivisten der Basisbewegung, des Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) und von Musikern, die gegen Monarchie und Korruption rappen, sind die aktuellsten Beispiele. Juristisch liegt diesem Vorgehen eine Veränderung des Strafgesetzbuches von 2015 zugrunde. Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris unterzeichnete die sozialdemokratische PSOE mit der regierenden Volkspartei PP einen Antiterrorismuspakt, in dem der Terrorismusbegriff ausgedehnt und verschärft wurde. Nicht nur die Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppe, sondern auch Sympathie und Unterstützung können als Terrorismus ausgelegt werden. Der anerkannte Rechtsanwalt und -wissenschaftler Carles Monguilod sieht diese Erweiterung als nicht vereinbar mit einem demokratischen Strafgesetzbuch. Er fordert eine sofortige Veränderung des Gesetzes: »Es kann nicht sein, dass beispielsweise auf eine ›Drohung‹, die als Terrorismus ausgelegt wird, eine höhere Strafe steht als auf Totschlag«, so Monguilod.

 

veröffentlicht in jw_am_16_4_2018