Katalanen trotzen Putsch

Foto: Mela Theurer

Spanische Regierung beschließt Aufhebung der Autonomie. Hunderttausende demonstrieren in Barcelona

Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy hat am Samstag angekündigt, den Artikel 155 der spanischen Verfassung zu aktivieren, sollte der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont nicht innerhalb von fünf Tagen Neuwahlen in der Autonomen Gemeinschaft ansetzen. Zu den Maßnahmen, die Rajoy plant, gehören die Absetzung der gesamten katalanischen Regierung, deren Aufgaben vom Kabinett in Madrid übernommen werden sollen. Wirtschaft, Telekommunikation, Rundfunk und Fernsehen, Polizei und Infrastruktur sollen durch die spanischen Behörden kontrolliert werden. Zudem soll es innerhalb von sechs Monaten Neuwahlen geben. Überdies behält sich Madrid ein Vetorecht gegen alle Beschlüsse des katalanischen Parlaments vor, die Befugnisse von dessen Präsidentin Carme Forcadell werden eingeschränkt. Rajoy behauptete, es gehe darum, »die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen«. Zwar übernehme die spanische Regierung die Amtsgeschäfte in Katalonien, der Autonomiestatus der Region bleibe aber erhalten.

In Katalonien wird der Angriff der Zentralmacht dagegen als Staatsstreich interpretiert. Tatsächlich würde Katalonien, nach den Plänen Rajoys, künftig von einer Partei regiert, die bei den letzten Regionalwahlen gerade einmal 8,5 Prozent der Stimmen erhalten hat.

Am Samstag abend demonstrierten in Barcelona 450.000 Menschen – so die Angaben der Stadtpolizei – gegen die Repression. Die Großkundgebung richtete sich offiziell gegen die Inhaftierung von zwei führenden Repräsentanten der Unabhängigkeitsbewegung. Tatsächlich wurde sie aber auch zu einem massenhaften Protest gegen den Artikel 155. Viele Demonstranten forderten die Unabhängigkeit und sofortige Ausrufung der Republik.

Für das Inkrafttreten der von Ra­joys Kabinett beschlossenen Maßnahmen ist eine Zustimmung des Senats notwendig, der am Freitag abstimmen soll. Die regierende Volkspartei (PP), die 1976 von Ministern des Franco-Regimes gegründet worden war, verfügt im Oberhaus zwar über die absolute Mehrheit, doch auch die rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) sowie die Sozialdemokraten der PSOE haben ihre Zustimmung signalisiert.

Forcadell erklärte am Samstag, die Aktivierung des Artikels 155 sei de facto ein Staatsstreich und ein Schlag gegen die Demokratie. »Der spanische Staat entzieht 135 gewählten Volksvertretern, die die katalanische Bevölkerung im Parlament repräsentieren, ihre Legitimation. Wir werden die Auflösung eines demokratisch gewählten Parlamentes nicht hinnehmen. Das ist das Ende der Demokratie. Politische Konflikte bedürfen einer politischen Lösung, nicht der Repression.« Die Abgeordneten sollen am Freitag – und damit praktisch zeitgleich zur Senatssitzung in Madrid – zusammenkommen, um über die Reaktion auf die Maßnahmen der Zentralregierung und über die Verteidigung der Institutionen zu beraten. Dabei könnte auch über eine Unabhängigkeitserklärung abgestimmt werden. Die Abgeordneten der für die Abspaltung eintretenden Parteien hatten eine solche am 10. Oktober bereits unterzeichnet, aber nicht offiziell verabschiedet.

Ministerpräsident Puigdemont sprach in einer offiziellen Erklärung am Samstag vom »schwersten Schlag gegen die Demokratie in Spanien seit der Zeit der Franco-Diktatur«. Madrid habe mit Schweigen und Repression auf die Angebote zum Dialog reagiert. »Heute wurde die Tür endgültig zugeschlagen.«

veröffentlicht in jw am 23_10_2017