Meinungsfreiheit vor Gericht

Katalanische Parlamentsmitglieder vor Gericht, weil sie Debatte über Unabhängigkeitsreferendum zuließen

Am Vormittag des 8. Mai waren die Parlamentspräsidentin Carme Forcadell und das Präsidiumsmitglied Anna Simó vor das höchste katalanische Gericht TSJC geladen. Beiden Politikerinnen wird Rechtsbeugung und Ungehorsam gegenüber dem Verfassungsgericht vorgeworfen, weil sie im Oktober 2016 eine Parlamentsdebatte und die Abstimmung einer Resolution über das Unabhängigkeitsreferndum zugelassen hatten. Begleitet vom amtierenden katalanischen Ministerpräsidenten Puigdemont und Regierungsmitgliedern folgten ihnen auch zahlreiche UnterstützerInnen dem Weg zum Gericht. Unter dem Motto „Ihr schreitet nie allein“ waren am frühen Morgen eine große Zahl dem Aufruf der Kulturorganisation Òmnium Cultural und der Katalanischen Nationalversammlung ANC nachgekommen, die in dieser Solidaritätsbekundung den Auftakt zu Mobilisierungen sehen, die bis zur Abhaltung des Referendums im September nicht mehr abreißen sollen.

Ganze 20 Minuten dauerte die Anhörung. Die beiden PolitikerInnen antworteten laut eigenen Angaben lediglich auf die Fragen ihrer Anwälte. Zudem forderte Carme Forcadell von der Richterin Maria Eugènia Alegret, ihre politische Immunität als Abgeordnete zu garantieren. In einer anschließenden Pressekonferenz erklärte Forcadell: „Sprechen, Debattieren und Wählen kann niemals ein Delikt sein“.  Sie bekräftigte, sich weder von der Zensur in die Knie zwingen zu lassen, noch in vorauseilendem Gehorsam Selbstzensur zu üben. Auch Anna Simó drückte ihre Fassungslosigkeit gegenüber der Tatsache aus, dass eine politische Debatte und demokratische Rechte von der Jusitz verfolgt werden. Ähnlich sah es der Vorsitzende des linken Bündnisses Katalonien, ja wir können CSQP Lluís Rabell, der den Versuch ein politisches Problem juristisch lösen zu wollen, als reinen Wahnsinn bezeichnete. Mireia Boya von der antikapitalistischen Kandidatur für die Volkseinheit  CUP erklärte, dieser Tag sei ein guter Anlass, um endlich die Fragestellung des Referendums zu definieren und ein konkretes Datum festzusetzen. Einig waren sich Òmniums Vorsitzender Jordi Cuixart und die Ministerin Neus Munté darin, dass die spanische Demokratie auf schwachen Füßen steht, während Vizepräsidentin Soraya Saénz de Santamaría dies genau umgekehrt sah. „Politiker, die in einem Parlament Eilverfahren zum Thema Unabhängigkeit erfinden, werden nicht nur ein gravierendes Problem mit der Jusitz haben, sondern verfügen auch über einen völlig schiefen Demokratiebegriff“ so ihre Stellungnahme aus Madrid.

In den kommenden Wochen werden sich drei weitere Präsidiumsmitglieder unter dem selben Vorwurf vor dem TSJC verantworten müssen. Am Freitag sind der Vizepräsident der Abgeordnetenkammer Lluís Corominas und die Präsidiumssekretärin Ramona Barrufet vorgeladen, während  das Erscheinen Joan Josep Nuets auf den 12. Juni datiert ist. Auch hierfür sind Proteste und Solidaritätsbekundungen geplant.