Weltkulturerbe zwischen Feuer, Leidenschaft und Wahnsinn

Foto: Mela Theurer

Jesdes Jahr kommen Tausende in die katalanische Kleinstadt in den Vorpyrenäen um an der Festlichkeit teilzunehmen, die seit 2005 zum Weltkulturerbe der UNESCO deklariert wurde – La Patum de Berga

Pa-tum, pa-tum, pa-tum. El tabal, eine 18 kg schwere Trommel gibt an fünf Tagen in der gut 16.000 EinwohnerInnen zählenden Gemeinde Berga den Ton an. Jahr für Jahr füllen sich dann an Fronleichnam die Straßen mit patumaires. So werden diejenigen genannt, die immer wieder mit Leidenschaft das Fest begehen, das sowohl christlich-religiöse wie auch mythisch-fantastische Elemente enthält.  Zu ihnen gesellen sich Neugierige aus aller Welt, die das 2005 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärte Fest hautnah miterleben oder zumindest digital festhalten wollen, Touristen des Campingplatzes, die Natur suchten und zufällig im Massengetummel landeten und natürlich auch die Einwohner selbst, die sich jedes Jahr mehr pixapins gegenübersehen, wie vor allem die aus Barcelona angereisten ironisch genannt werden. Wer an Klaustrophobie leidet oder große Menschenansammlungen scheut, ist hier definitiv falsch. La Patum beginnt traditionell am Mittwoch der Fronleichnahmwoche mit einem Umzug, an dem verschiedene Komparsen teilnehmen. Dieser Zug führt durch die ganze Stadt und an verschiedenen Plätzen werden die traditionellen Tänze – die sogenannten Salts, abgehalten. Salt bedeutet Sprung und tatsächlich bedarf es keiner bestimmten Tanzschritte, sondern vielmehr einem robusten Schuhwerk, entsprechender Beweglichkeit und physischem Durchsetzungsvermögen, um die einzelnen Tänze nicht nur unversehrt mit einigen blauen Flecken und leichten Brandbläschen zu überstehen, sondern auch genießen zu können.  Am Donnerstag und Sonntag füllt sich der historische Platz Sant Pere, bereits im Mittelalter Zentrum ökonomischer und politischer Aktivität, mit Tausenden, die hier zu den verschiedenen Figuren des Volksfestes tanzen. Auch dieses Jahr sind am Donnerstag auf dem Balkon des Rathauses Persönlichkeiten aus Kultur und Regierung vertreten. Unter anderem nehmen die von der spanischen Justiz verfolgte Bürgermeisterin der antikapitalischen Kandidatur für die Volkseinheit CUP Montse Venturós, der Sänger der katalanischen Rockband Brams und ebenfalls CUP-Abgeordneter in Berga Titot, gemeinsam mit der Regierungssprecherin Neus Munté, Òmnium Cultural-Vorsitzendem Jordi Cuixart und Mireia Boya, Abgeordnete der CUP im Parlament auf dem Rathausbalkon als ZuschauerInnen an diesem besonderen Fest teil. Der gesamte Platz ist mit Fahnen der Unabhängigkeit geschmückt und eine digitale Uhr zählt rückwärts die Zeit bis zum 1. Oktober, an dem das Unabhängigkeitsreferendum stattfinden soll. Zum Auftakt wird an diesem Donnerstag wie bereits erstmals vor zwei Jahren die katalanische Nationalhymne der segadors gespielt, die an den „Unabhängigkeitskrieg der Landarbeiter“ zwischen 1640 und 1652 erinnert. Die Livemusik wird vom singenden Publikum übertönt und die anschließenden Unabhängigkeitsrufe I-Inde-Independència weichen erst, als die Musik zum ersten Salt erklingt. Es folgen die verschiedenen Elemente des Patums. Jedes einzelne hat sein musikalisches Thema und die entsprechenden Requisiten und Figuren. Nach den „Türken und Pferden“, den „Maces und Engeln“, der Guita grossa i petita“ –  zwei Feuerdrachen, dem Adler, Àguila, den Nans Vells, den Giganten und den Nans Nous folgt nach der zweiten Sequenz des Salts der Höhepunkt: Der Salt dels Plens.

Gleich ist es soweit. Unruhe macht sich breit. Die Musik der Nans Nous neigt sich zu Ende. Ich stehe am Eingang zum Platz, neben mir zwei englischsprechende Jungs. Sie unterhalten sich, immer wieder höre ich „Spain, oh – no, this is Catalonia“. Meine journalistische Neugierde ist geweckt und ich komme mit den beiden Studenten aus Kansas ins Gespräch. Drei Wochen haben sie auf einem ökologischen Bauernhof in den Pyrenäen gearbeitet und la Patum bildet den Höhepunkt und Abschluss ihres Aufenthalts. „Super tolle Stimmung, wahnsinnig aufmerksame Leute – very kindly and lovely“ so einer der Beiden, der bei einem Salt seinen Schuh verloren und sogleich wiederbekommen hatte, „Because the people take care of each other“.  Ich frage, ob es etwas Vergleichbares in Kansas gäbe und die Beiden lachen nur. „Falls es überhaupt zu einem solchen event kommen sollte, gäbe es unter der neuen Regierung in jedem Falle eine Massenverhaftung.“ Glücklich, nicht in den USA zu sein, wollen sie nun tatsächlich einen Salt de plens wagen. Ich selbst warte inzwischen handylos, auf meine FreundInnen, aber inmitten der Menschenmassen mache ich sie unmöglich ausfindig. Seit einem Jahr freue ich mich auf den Salt de plens und nun stehe ich einsam und verlassen inmitten Tausender, die sich bereit dazu machen. Xavi, der für die Kansans-Jungs gedolmetscht hat, zieht sich an meiner Seite sein Baumwollhemd und ein Tuch über. Ich frage ihn, ob ich ihm bei seinen Rastas behilflich sein kann und stopfe sie sorgfältig in den Hemdkragen. Beim Salt de plens wird so wenig Haar und Haut wie möglich gezeigt. Denn 100 mit je 9 Feuerwerkskörpern ausgestatte „Teufel“ tanzen auf dem Platz und verstreuen Funken und Feuer. Selbst mit Effeu vor Hitze, Rauch und Feuer geschützt und mit dicken Holzmasken geschmückt tanzen sie mit einer Begleitung ohne wirklich zu sehen auf dem Platz, gefolgt vom Publikum. Ich mache mich vorsorglich für den Tanz bereit, vielleicht kann ich in der Menge doch noch jemanden aus meiner Clique erblicken. Xavi fragt mich, mit wem ich denn „springen“ werde.“ Mit dir,“ sage ich im Scherz und er meint: „Ok, auf welcher Seite?“ Da er Linkshänder und es mir selbst ziemlich egal ist, bleibt die Entscheidung wo ich mich unterhake einfach und es scheint, dass wir auf Anhieb ein gutes Team sind. Die Kansas-boys machen sich mit Xavis Freund auf zum Platz. Wir begeben uns an einen übersichtlichen Ausgangspunkt. Strategie ist genauso wichtig wie Erfahrung. Weit weg von einer Hauswand, mit dem Ziel den Platz zu überqueren, besprechen wir nocheinmal kurz unser Vorgehen. Immer am Feuer bleiben, nicht zu nah an die Häuser ran und falls wir uns verlieren, Treffpunkt: Rathausbalkon. Über den Lautsprecher erfolgt dann die Ansage: „Liebes Publikum, dies hier hat nichts mit einem correfoc zu tun. Ihr seid mittendrin in einem Feuerwerk…. Dann folgen die ganzen Sicherheitsbestimmungen. Mutig schauen wir uns an, vermummt bis auf die Knochen. Dann geht das Licht aus, die „fuets“ – Knaller  werden entzündet, das Orchester beginnt zu spielen. Es folgen über vier Minuten Wahnsinn,  wir mittendrin. Allmählich brennen die Knallstäbe herunter. Flammen sprühen überall, Rauch vernebelt das Ambiente, von allen Seiten wird gedrückt, kommen funkensprühende Teufel auf uns zu.  Xavi war eine gute Wahl. Wir kommen gut voran, es brennt vorne und hinten, aber wir bewegen uns stetig weiter, immer nah am Feuer, manchmal etwas zu dicht, aber alles im Rahmen des Gewohnten. Nach viereinhalb Minuten verhallt der letzte Knaller. Die Musik endet, das Licht geht an. Wir umarmen uns… Alle umarmen sich. Geschafft. Für manche der erste, der zehnte oder der hundertste Salt de Plens… Jedes Mal neu und jedes Mal eine Herausforderung. Manchmal läuft es gut, manchmal kommt der Gedanke: Nie wieder… um am nächsten Jahr doch wieder auf dem Platz zu stehen. Mit la Pa-tum im Blut. Nun geht es von vorne weiter. Zweimal die Sequenz zuerst ohne, dann mit mit dem Salt de Plens. Dazwischen gibts viel Wasser, Brötchen, Kroketten, Wein, barreja (aber nur wenig, das Mixgetränk ist wirklich ein Teufelzeug), um am Schluss noch einmal den Feuersalt zu wagen. Dann folgt der Tiravols. Ein Wettbewerb zwischen Orchester und Tanzenden. Am Ende resignieren die Musiker und steigen von  ihrer Tribüne herunter ins Publikum. Doch damit ist das Fest noch lange nicht zu Ende. Es gibt Sardanas und überall tanzen und feiern Grüppchen und Gruppen. Irgendwann möchte ich nur noch nach Hause und selbst im Schlaf verfolgt mich el Tabal. Pa-tum! Am nächsten Morgen, als wir zum Frühstücken aufbrechen, treffen wir noch auf patumaires, die ihr letztes Bier trinken. Heute gehts weiter mit la Patum infantil, dem Kinderpatum, welches über dieselben Elemente und Tänze im Kleinformat verfügt. Am Samstag folgt ein Umzug durch die Stadt und am Sonntag wird es wieder zwei Sequenzen,  der kompletten Salts geben. Über 10.000 Herzen werden auch dieses Jahr wieder zum Rhythmus des Tabals schlagen: Pa-tum, pa-tum, pa-tum!!! Visca la Pa-tum de Berga!!!

erster salt de la patum 2017 auf you tube