Blutiges Referendum

Foto: Mela Theurer

Katalonien: Spanische Nationalpolizei und parlamilitärische Guardia Civil dringen in Abstimmungslokale ein. Knüppel und Gummigeschosse gegen Wähler

Am Sonntag sollte in Katalonien über die Unabhängigkeit von Madrid abgestimmt werden. Doch die von der spanischen Regierung entsandte Polizei knüppelte auf wehrlose und unbewaffnete Menschen ein und machte auch vor Kindern und alten Menschen nicht halt. Schulen, die als Wahllokale dienten, wurden von den Einsatzkräften gestürmt, Wahlurnen entwendet. Beamte griffen mit Gummigeschossen Demonstranten an. Ein Bild wie aus Zeiten der Diktatur von Francisco Franco.

Zu dem »verbindlichen Referendum« hatte die Generalität, die katalanische Regionalregierung, von Carles Puigdemont aufgerufen. Es wurde eigens ein Gesetz verabschiedet, das im Falle einer Mehrheit bei der Abstimmung die Erklärung der Unabhängigkeit innerhalb von zwei Tagen festlegte. Das Verfassungsgericht in Madrid hatte dies für ungültig erklärt. Ende September folgten Razzien in ganz Katalonien mit dem Ziel, das Referendum zu verhindern.

Am frühen Morgen war es in Barcelona noch ruhig. Nichts deutete auf die Präsenz der 10.000 zusätzlich nach Katalonien beorderten Polizeikräfte hin. In mehr als der Hälfte der für die Abstimmung vorgesehenen Schulen hatten seit Freitag Feste stattgefunden, um deren Schließung zu verhindern. 73 Prozent von ihnen öffneten am Sonntag ihre Tore für die Wählerinnen und Wähler. Davor bildeten sich trotz strömenden Regens lange Schlagen. Urnen und Stimmzettel waren vorhanden, und auch die Wahlkommissionen konstituierten sich. Doch schon bald begannen die Einheiten der paramilitärischen Guardia Civil und der Nationalpolizei mit ihren Angriffen. Wahlurnen wurden konfisziert und Mobiliar zerstört.

Die Menschen versuchten, die Lokale mit Sitzblockaden zu verteidigen. Demonstranten antworteten auf die Gewalt mit Rufen wie »Die Straßen gehören uns« und »Wir werden wählen«. Es half nichts. Im Laufe des Vormittags gab es 350 Verletzte, von denen 38 in Krankenhäusern behandelt werden mussten.

Madrid rechtfertigte am Sonntag mittag den Polizeieinsatz. Die Beamten hätten angemessen und professionell gehandelt, erklärte die spanische Vizeregierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría. Es sei absolut unverantwortlich von der katalanischen Regionalregierung, die Abstimmung abzuhalten, nahm die Politikerin der postfranquistischen Volkspartei (PP) die Einsatzkräfte in Schutz und wies die Schuld der Generalitat zu.

Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau erklärte, Ministerpräsident Mariano Rajoy habe in allen Bereichen versagt, und forderte dessen Rücktritt. Auch Miquel Iceta von den katalanischen Sozialdemokraten verlangte Konsequenzen, Dialog und Neuwahlen für Katalonien und Spanien.

Die katalanische Regierung verurteilte die Repression aufs schärfste. Regierungsminister Jordi Turull sprach von brutaler Staatsgewalt und forderte ebenfalls Rajoys Rücktritt. Der katalanische Präsident Puigdemont erklärte: »Wir werden an die Urnen zurückkehren und von unserem demokratischen Recht auf Wahl Gebrauch machen.«

Auch aus Deutschland wurde Kritik laut. Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Linksfraktion im Bundestag, verurteilte die Gewalt der spanischen Polizei als »völlig inakzeptabel«. Madrid müsse »endlich Verhandlungen mit der katalanischen Regionalregierung über den künftigen Status der Region« aufnehmen, forderte die Politikerin am Sonntag in einer Stellungnahme. »Ein Bürgerkrieg in Katalonien muss unbedingt verhindert werden.«

veröffentlicht in jw am 2_10_2017