Knast für katalanische Politiker

Foto: Mela Theurer

Mehr als dreißig Verletzte bei Protesten gegen die Inhaftierung von fünf katalanischen PolitikerInnen. Hundertausende demonstrierten spontan für die Freilassung der Gefangenen – und für eine unahbängige Republik

„Jetzt reichts!“ Darin waren sich die Demonstrierenden einig, die am Freitag Abend katalonienweit spontan auf die Straße gingen, um ihrer Wut Luft zu verschaffen. „Schluss mit den Familiendemos und dem Absingen der Segadors. Darüber lacht man doch in Madrid nur noch. Wir brauchen jetzt andere Aktionsformen!“ erklärt eine Demonstrantin und viele stimmen mit ihr überein. Nachdem der Richter Pablo Llarena gestern fünf der sechs vorgeladenen ehemaligen RegierungsvertreterInnen ins Gefängngis geschickt hat, kommt die Antwort von der Basis direkt und kontundent.

Carme Forcadell, Raül Romeva, Jordi Turull, Josep Rull, Dolors Bassa und Marta Rovira waren am Freitag vor den Obersten Gerichtshof, das Tribunal Suprem, zitiert. Vergeblich hatte man am frühen Morgen in Madrid auf Marta Rovira gewartet, die durch einen Brief bekannt gab, den harten Weg des Exils zu gehen.

Für die Vorgeladenen forderte die Staatsanwaltschaft schließlich Haftstrafen bis zu 25 Jahren. Ihnen werden Rebellion und teilweise auch Veruntreuung von öffentlichen Geldern bezüglich der Vorbereitung und Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober vorgeworfen. Weil Fluchtgefahr bestünde, schickte Pablo Llarena am frühen Abend die fünf dann tatsächlich in den Knast. Für Jordi Turull, der als Präsidentschaftskandidat in einer ersten Abstimmung am Donnerstag Abend gescheitert und am heutigen Samstag die Chance auf einen zweiten Wahlgang haben sollte, nicht das erste Mal. Ebenso wie die Mitangeklagten war er bereits im Gefängnis und kam am 4. Dezember unter Zahlung einer Kaution von 100.000 Euros frei.

Llarena erließ zudem internationalen Haftbefehl gegen den rechtmässig gewählten und im Rahmen des Verfassungsartikels 155 abgesetzten katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont, gegen die Generalsekretärin der republikanischen ERC Marta Rovira, sowie gegen die vier Ex-MinisterInnen die mit Puigdemont ins belgische Exil gegangen waren. Puigdemont kündigte daraufhin ein Treffen aller Exilierten zur Analyse und Lagebesprechung an. Zuvor will er sich am heutigen Samstag jedoch  bei der finnischen Polizei melden, bei der am frühen Morgen der europäische Haftbefehl gegen ihn eingegangen war.

Insgesamt sind 13 führende VertreterInnen der Unabhängigkeitsbewegung wegen Rebellion angeklagt. Laut Strafgesetzbuch muss zur Erfüllung dieses Straftatbestandes eine Gewalthandlung vorliegen. Da die Gewalt jedoch einseitig vom spanischen Staat ausging, musste sich die spanische Justiz etwas einfallen lassen. Und Not macht bekanntlich erfinderisch. Die angeklagten PolitikerInnen werden jetzt für die „Gewalt“ vom 1. Oktober gegen die Polizei verantwortlich gemacht. Nicht nur die Bilder dieses Tages sprechen jedoch für sich. An die 1000 Verletzte Demonstrantinnen durch brutale Knüppeleinsätze der Guardia Civil und Policia Nacional und das „verlorene“ Auge von Roger Español durch ein Gummigeschoss sind das blutige Resultat des 1. Oktober, als Millionen mit ihrer Teilnahme am Unabhängigkeitsreferendum ihr Wahlrecht in Anspruch nahmen. Die DemonstrantInnen betonten immer wieder, dass sie gewaltfrei agierten und sich lediglich, meist passiv, gegen die brutalen Übergriffe der Polizei zur Wehr setzten.

Diesen Bildern und Ziffern stehen ein paar demolierte Fahrzeuge der Guardia Civil gegenüber, die bei den Mobilisierungen am 20. September zu Schaden kamen. Zu diesen Protesten hatte die Bürgerbewegung ANC Katalanische Nationalversammlung, und die Kulturinitiative Òmnium Cultural aufgerufen. Am frühen Abend hatten deren Sprecher Jordi Sànchez und Jordi Cruixart die Versammlung dann als beendet erklärt. Die Kundgebung vor dem Wirtschaftsministerium löste sich jedoch nicht auf. Die Guardia Civil-Beamten trauten sich  angesichts der tausenden Demonstrierenden nicht, das Gebäude zu verlassen. Llarena sieht darin nun nicht nur den Tatsbestand der Gewalt, die eingeschlagenen Autofenster der Guardia Civil-Fahrzeuge, erüllt, sondern macht im Zuge dessen gleich noch eine Geiselnahme daraus. Damit begründet er die Anklage wegen Rebellion für Cuixart und Sànchez.

Insgesamt wird bisher offiziell gegen 25 katalanische ParlamentspolitikerInnen ermittelt. Aber auch BürgermeisterInnen, AktivistInnen der Basisbewegungen aus den Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) stehen im Fadenkreuz der Ermittlung. Ihnen werden Widerstand gegen die Staatgewalt und ziviler Ungehorsam im Zusammenhang mit dem Unahbängigkeitsreferendum und den Aktionen zum Generalstreik im November vorgeworfen.

Angesichts der Inhaftierung der fünf PolitikerInnen versammelten sich am Freitag Abend spontan Hundertausende. In Lleida kamen 3000 Personen zusammen, die Vertretung der spanischen Regierung wurde dort mit Eiern beworfen und einige DemonstrantInnen besetzten zeitweise die Bahngleise.

Auch in Vic, Girona und Tarragona protestierten Tausende. In Girona erklärte der Europaabgeordnete Josep Maria Terricabras, dass er voll auf die europäische Justiz vertraue. Aber deren Mühlen mahlen langsam. Und bis es für die derzeit Angeklagten wirklich Gerechtigkeit gibt, dürften Jahre vergehen.

Bei Tarragona wurde die Autobahn blockiert. Die DemonstrantInnen beklagten dort die Agressivität der Polizei und dass diese keine sichtbaren Identifizierungsnummern trugen, wozu sie verpflichtet sind.

In Barcelona riefen die Komitees zur Verteidigung der Republik um 19.00 zu einer Demonstration auf. Die ANC versammelte ihre Anhänger um 20.00 Uhr. Die beiden Demonstrationen trafen vor dem Sitz der Vertretung der spanischen Regierung zusammen, die hermetisch von der Polizei abgeriegelt war. Auch dort knüppelte die Polizei zum Teil unverhältnismässig auf die Demonstrierenden.

Mehr als 35 leicht Verletzte sind das Ergebnis der Mobilisierungen gegen die Repression aus Madrid. „Angeklagt sind unsere Ideen, es geht nicht um konkrete Personen“ war der Konsens unter den DemonstrationsteilnehmerInnen.

Mehrere Theateraufführungen waren am Freitagabend aus Protest unterbrochen oder suspendiert worden.

Bei ihrer Intervention während der heutigen Plenaristzung erklärte Natàlia Sànchez von der CUP: „Füllen wir die Straßen und leeren wir die Knäste!“ Auch für den heutigen Samstag wurden katalonienweit weitere Proteste angekündigt.