Die Kriminalisierung des Opfers in einem Vergewaltigungsprozess bringt spanienweit Hunderte auf die Straße
Der am Montag begonnene Prozess wegen Vergewaltigung einer jungen Frau während der San Fermín Festlichkeiten in Pamplona bekam am Freitag eine neue Dimension. Im Fokus standen plötzlich nicht mehr die fünf Männer aus Sevilla, die die 18-jährige Madriderin im Juli 2016 mehrfach vergewaltigten und dabei filmten, sondern das Opfer selbst. Der Vorsitzende Richter Francisco Cabo Sáenz akzeptierte den Bericht der privaten Detektei Cassol, die die junge Frau und ihre Lebensgewohnheiten nach der Vergewaltigung ausspioniert hatte. Den Auftrag dazu hatte eine Familie der Angeklagten gegeben. Und damit wird die Glaubwürdigkeit des Opfers angezweifelt, da sie ein angeblich „atypisches Verhalten nach ihrer Vergewaltigung“ gezeigt haben soll. Fotos auf Instagram, die zeigen, dass sie ihr „normales Leben fortgesetzt hat, werden ihr ebenso zur Last gelegt, wie die Tatsache, dass sie sich in der Tatnacht gegen ihre fünf Agressoren nicht aktiv zur Wehr gesetzt habe.
Die Vergewaltigung ereignete sich in der Nacht auf den 7. Juli 2016, als die 18-jährige auf dem Weg zu ihrem Auto zufällig auf die fünf Männer traf. Nach ihrer Aussage folgte die junge Frau den Männern in einen Hauseingang, um einen Joint zu rauchen. Dort wurde sie von ihnen jedoch mehrfach auf brutalste Weise vergewaltigt während sie sich gegenseitig dabei filmten. Noch am selben Tag konnten die vermutlichen Täter festgenommen werden.
Auf der Anklagebank sitzen nun José Ángel Prenda, Ángel Boza, Jesus Escudero, Alfonso Jesús Cabezuelo Entrena und Antonio Manuel Guerrero Escudero. Letzterer, ein Guardia Civil, war kurz nach der Tat wegen der Schwere der Vorwürfe aus dem Dienst suspendiert worden. Allesamt haben sich zu Prozessbeginn für unschuldig erklärt, während die Staatsanwaltschaft 22 Jahre und 10 Monate für jeden forderte. Nach ihren Angaben hätte die junge Frau ihr Einverständnis gegeben.
Die Fokusierung auf das Opfer während der Verhandlung brachte spontan Hunderte auf die Straße. In Sevilla, Valladolid, Barcelona und Madrid demonstrierten vorwiegend Frauen gegen patriarchale Justiz und in Solidarität mit dem Opfer. Am Sonntag organisierten Frauenkollektive in Valencia eine breite Demonstration unter dem Motto: „Nein ist nein!“ und „Keine Kriminalisierung der Opfer!“
In Spanien kommt es nach Angaben des Innenministeriums jährlich zu 1.161 angezeigten Vergewaltigungen. Das bedeutet, dass jede acht Stunden eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt wird. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher liegen.
Beatriz Bonete, Soziologin und Expertin in Gewalt gegen Frauen erklärt zu dem Stereotyp, dass diese sich nach einer Vergewaltigung traumatisiert und eingeschüchtert zeigen müssen: „Das Bild, das von vergewaltigten Frauen existiert, ist dass sie sich zuhause weinend einschließen. Wenn alle Frauen, die in ihrem Leben eine sexuelle Agression erlitten haben dies täten, würde die Welt stillstehen.“ Bonete kritisiert die Umkehrung der Verhältnisse und sieht darin eine Widerspiegelung partriarchaler Strukturen in Gesellschaft in Justiz. Sie erklärt: „Der Fokus muss auf die Agressoren und nicht auf die Opfer gerichtet sein. Ihre Gesichter müssen gezeigt, ihre Namen genannt werden. Von den vergewaltigten und misshandelten Frauen existiert ein bestimmtes Bild, das an konkrete Verhaltensweisen geknüpft ist. Werden diese nicht erfüllt, wird ihre Glaubwürdigkeit hinterfragt. Opfer müssen sich hilflos, traumatisiert und zerstört zeigen. Stärke kann vor der Justiz zum Verhängnis werden.“