Ruf nach Freiheit

Foto: Mela Theurer

Eine Million Menschen demonstrieren in Barcelona für die Unabhängigkeit Kataloniens. Solidarität mit politischen Gefangenen

Erneut haben Hunderttausende Menschen den katalanischen Nationalfeiertag am 11. September für ein lautstarkes Bekenntnis zur Unabhängigkeit ihres Landes von Spanien genutzt. Bereits am frühen Dienstag vormittag füllten sich die Straßen Barcelonas mit den Symbolen der Unabhängigkeitsbewegung. 1.500 Busse waren aus allen Teilen Kataloniens in die Hauptstadt gekommen, um dem Aufruf der »Katalanischen Nationalversammlung« (ANC) zu folgen.

Pünktlich um 17.14 Uhr – eine Erinnerung an den Fall Barcelonas im Spanischen Erbfolgekrieg 1714, der den Verlust der Eigenständigkeit bedeutete – begann auf einem sechs Kilometer langen Abschnitt der Avinguda Diagonal die Kundgebung. Nach Polizeiangaben rund eine Million Menschen verwandelten die Hauptverkehrsader in ein Meer roter Fahnen. In westlicher Richtung war symbolisch eine Mauer aufgebaut worden. Sie sollte an die Inhaftierung führender Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung sowie an die im vergangenen Jahr erfolgte Suspendierung der Autonomie Kataloniens durch die spanische Zentralregierung erinnern.

Am 1. Oktober 2017 war in der Region eine Volksabstimmung über die Gründung einer eigenständigen Republik durchgeführt worden. Obwohl es zuvor von Madrid verboten worden war und Tausende Beamte der spanischen Nationalpolizei und der paramilitärischen Guardia Civil versuchten, das Referendum zu verhindern, beteiligten sich daran knapp 2,3 Millionen Menschen, was 42,5 Prozent der Wahlberechtigten entsprach. Von diesen votierten gut zwei Millionen (90,1 Prozent) für die Eigenständigkeit.

Daran erinnerten die Demonstranten, als sie nach einer Schweigeminute für die politischen Gefangenen und die Opfer der Polizeigewalt während des Referendums unter lautstarkem Jubel die symbolische Mauer zum Einsturz brachten. In ausgelassener Stimmung wurde immer wieder lautstark der Aufbau einer unabhängigen Republik sowie die Freilassung der Inhaftierten gefordert. Derzeit sitzen neun katalanische Politiker im Gefängnis, sieben weitere – unter ihnen der von Madrid abgesetzte Regierungschef Carles Puigdemont – haben sich ins Ausland abgesetzt.

Die Kundgebung in Barcelona stand unter der Losung »Die katalanische Republik aufbauen«. Die Veranstalter wollten damit Druck auf die Politiker ausüben, das Ergebnis des Volksentscheides und damit die Abtrennung von Spanien umzusetzen. Zudem verlangten sie ein Ende der Repression. Puigdemonts Rechtsanwalt Ben Emmerson forderte während der Veranstaltung den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez auf, die politischen Gefangenen sofort freizulassen, und zwar vor Beginn der gegen sie angestrengten Gerichtsprozesse. Das sei die einzige Möglichkeit, doch noch zu einer Vereinbarung zwischen beiden Seiten zu kommen, um die politische Krise zu beenden.

Ein wirklicher Kurswechsel ist jedoch auch unter der seit Juni amtierenden neuen Regierung nicht in Sicht. Regierungschef Sánchez machte bisher keine Anstalten, in der Frage der Gefangenen einzulenken. Zwar setzt er im Gegensatz zu seinem rechtskonservativen Amtsvorgänger Mariano Rajoy auf Dialog, will jedoch nicht über eine Abspaltung verhandeln. Lediglich eine Ausweitung der Autonomie könne in Frage kommen, über ein entsprechend geändertes Autonomiestatut könne abgestimmt werden.

Das allerdings weckt Erinnerungen an das Jahr 2006, als eine Änderung des katalanischen Autonomiestatuts per Referendum verabschiedet wurde. Dagegen klagte die damals wie heute oppositionelle Volkspartei (PP) vor dem spanischen Verfassungsgericht, das 2010 wesentliche Bestandteile des neuen Gesetzes für illegal erklärte und aufhob. Diese Missachtung des Willens der katalanischen Bevölkerung löste am 10. Juli 2010 die bis dahin größte Massendemonstration in der Geschichte der Region aus und war der Beginn der sich seither jährlich wiederholenden Großkundgebungen.

Bereits am Vormittag hatte Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau bei der traditionellen Kranzniederlegung zum Nationalfeiertag an die Gefangenen erinnert: »Heute ist nicht der Tag, um über politische Differenzen zu sprechen. Heute relevant ist einzig und allein die Forderung nach ihrer Freilassung, nach der Rückkehr zur politischen Normalität und nach der Rückgewinnung der demokratischen Werte.« Fast zeitgleich wurde bei einer Gedenkveranstaltung an den 40. Todestag von Gustavo Muñoz erinnert. Der damals 16 Jahre alte Kommunist war bei einer Demonstration am 11. September 1978 von einem spanischen Polizisten erschossen worden. Beendet wurde die Diada Nacional de Catalunya, wie der Feiertag offiziell heißt, am frühen Abend mit einer Demonstration des linken Flügels der Unabhängigkeitsbewegung, zu der die antikapitalistische Partei CUP (Kandidatur der Volkseinheit), linke Gewerkschaften und andere Verbände aufgerufen hatten. Nach Veranstalterangaben forderten dabei etwa 15.000 Menschen unter der Losung »Keinen Schritt zurück« die Selbstbestimmung der »Katalanischen Länder«, womit neben Katalonien auch Valencia, die Balearen und der französische Teil des katalanischen Sprachraums gemeint sind.

Auch im Ausland wurde der Nationalfeiertag begangen. So versammelten sich in Berlin am Dienstag abend mehrere Dutzend Menschen mit katalanischen Fahnen, um ihre Solidarität mit der Unabhängigkeitsbewegung auszudrücken.

veröffentlicht in jw am 13_9_2018