Terror im Wahlkampf

Katalanische Polizei stürmt anarchistische Zentren in Barcelona. Legale Gruppen kriminalisiert
Pünktlich zum Beginn das Wahlkampfs in Spanien, wo am 20. Dezember über die neue Zusammensetzung des Parlaments entschieden wird, heizen die Behörden die politische Stimmung wieder mit einer Hatz auf angebliche Terroristen an. In der vergangenen Woche waren anarchistische Strukturen in Barcelona und Umgebung das Ziel der dritten großen Polizeiaktion gegen die libertäre Bewegung innerhalb eines Jahres. Am 28. Oktober durchsuchten 500 Beamte der katalanischen Polizei »Mossos d\’Esquadra« zehn soziale Zentren, Veranstaltungsräume und Privatwohnungen. Neun Menschen wurden festgenommen und wegen »Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung mit terroristischen Absichten« am Freitag in Madrid dem Haftrichter vorgeführt.

Acht von ihnen kamen nach der Anhörung frei, sechs davon nach Zahlung von Kautionen von bis zu 5.000 Euro. Ein Rechtsanwalt wurde dagegen in Untersuchungshaft genommen.

Hintergrund der Polizeiaktion sind Ermittlungen im Zusammenhang mit 2013 verübten Anschlägen auf eine Kathedrale in Madrid sowie auf eine Basilika in Zaragoza im selben Jahr, bei denen Sachschaden entstand. Des weiteren wird wegen 114 Attacken auf Bankautomaten mit Brandsätzen ermittelt, für die anarchistische Gruppen verantwortlich sein sollen. Nach den Angriffen in Madrid und Zaragoza waren schon am 13. November 2013 fünf Personen verhaftet worden. Zwei von ihnen, Mónica C. und Francisco S., sitzen noch immer unter verschärften Bedingungen in Untersuchungshaft. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass ihr jüngster Haftprüfungstermin mit den neuen Razzien zusammenfiel. Und es überrascht so auch nicht, dass die Richter eine Entlassung erneut ablehnten.

Die jetzt erfolgten Durchsuchungen sind der zweite Teil der »Operation Pandora«. Der erste hatte im Dezember 2014 stattgefunden, als 700 Polizisten in Barcelona und Umgebung mehrere anarchistische Zentren attackierten, darunter das seit über 25 Jahren besetzte Wohnprojekt »Kasa de la Muntanya«. Schon damals waren elf Menschen festgenommen worden, von denen die letzten erst am 30. Januar nach Kautionszahlung freikamen. Ein weiterer Schlag richtete sich im März gegen die Anarchistenszene in Madrid – mit 15 Festnahmen. Zwei Personen sitzen seither in Haft. Auch hier ging es um die Anschläge auf die Kirchen und Bankautomaten.

Die Generalitat, die Selbstverwaltung der Autonomen Gemeinschaft Katalonien, erklärte in der vergangenen Woche, die Regionalpolizei habe nur eine Anweisung des spanischen Sondergerichts »Audiencia Nacional« befolgt. Tatsächlich sind aber offenkundig die »Mossos d\’Esquadra« selbst die treibende Kraft hinter dem Vorgehen. Eine Schlüsselrolle kommt der »Unitat d\’Anàlisi d\’Estratègies d\’Organitzacions« (Einheit zur Analyse von Organisationsstrategien) zu. Diese versucht, legal arbeitende Zusammenhänge wie die »Koordinierten Anarchistischen Gruppen« (GAC) mit militanten Untergrundgruppen wie der FAI-FRI in Verbindung zu bringen. Es ist das gleiche Vorgehen wie in den vergangenen Jahrzehnten gegen die baskische Linke. Wer dieselben Ziele vertritt wie eine illegale Organisation, wird selbst als Teil von dieser betrachtet. So dient das Konstrukt dazu, eine Gruppe, die sich für alternative Lebens-, Arbeits- und Politikformen einsetzt, als »terroristisch« abzustempeln.

Gegen diese Einschüchterungsversuche entwickelt sich auch jetzt wieder eine Solidaritätsbewegung. In mehreren Städten Spaniens fanden Demonstrationen und Kundgebungen statt. Allein in Barcelona versammelten sich Stunden nach den Festnahmen mehr als 2.000 Personen unter der Losung »Es trifft ein paar – gemeint sind wir alle«.
veröffentlicht in jw am 5_11_2015