Tourist go home

Foto: Mela Theurer

Proteste gegen Invasion von Billigurlaubern spitzen sich zu. Immer mehr Einwohner wehren sich gegen knapper werdenden Wohnraum

 

Am Samstag vormittag wurden die Sonnenanbeter an Barcelonas Hausstrand von einer Protestaktion überrascht. Um die 300 Anwohner des direkt am Meer gelegenen Stadtteils Barceloneta demonstrierten für den Strukturerhalt ihres Viertels und gegen den Massentourismus. Sie trugen Plakate mit Aufschriften wie »Ferienapartments raus aus unserem Wohnviertel« und machten auf die immer prekärer werdende Situation aufmerksam, die der »Low-cost«-Tourismus mit sich bringt. Die Bürgerinitiative »Verteidigen wir unseren Stadtteil« forderte von der Stadtverwaltung, entschiedener gegen illegale Ferienwohnungen vorzugehen. Das Rathaus antwortete prompt. Am Dienstag präsentierte die stellvertretende Bürgermeisterin Janet Sanz bisherige Erfolge des regierenden Linksbündnisses. Allein innerhalb des letzten Jahres seien 900 nicht angemeldete Ferienwohnungen dichtgemacht worden. Doppelt so viele Inspektoren zur Aufspürung nicht lizenzierter Ferienapartments würden eingesetzt. Auch mit dem größten Ferienwohnungsportal »Airbnb« konnte das Rathaus Erfolge verzeichnen. Nach Verhandlungen und mehreren Strafbußen strich Airbnb mehr als 1.000 Wohnungen von seiner Internetseite. In Anbetracht des extremen Touristenanstiegs ist das jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Laut Sanz soll es mindestens noch 5.000 weitere illegale Ferienwohnungen geben.

Im letzten Jahr kamen mehr als neun Millionen Besucher nach Barcelona, Tendenz steigend. Die Hotels nannten 19,5 Millionen jährliche Übernachtungen, hinzu kommen mindestens noch einmal 10,5 Millionen Übernachtungen in Ferienapartments. Davon sind die meisten nicht als solche lizenziert. Das schnelle Geld verleitet viele dazu, ihre Wohnungen an Touristen zu vermieten. So wird der Wohnraum knapp, und die Mieten steigen drastisch. Allein zwischen 2014 und 2016 haben sich die Mietpreise um 17 Prozent erhöht.

Viele Bewohner der Stadt sind dadurch zahlungsunfähig. Die Dachorganisation der Nachbarschaftsvereinigungen (FAVB) spricht von neun bis zehn Räumungen pro Woche allein in der katalanischen Metropole. Neben den Mietpreisen wuchern auch die Lebenshaltungskosten. Die traditionellen Eckkneipen weichen teuren Touristenbars, kleine Supermärkte passen ihr Angebot immer mehr an die Interessen der Besucher an. In den zentralen Vierteln der Stadt sehen sich die Anwohner durch feiernde Urlauber gestört, die meist nur wenig Rücksicht nehmen. Ein weiteres Mieterbündnis hat inzwischen eine Kampagne gestartet und Aktionen gegen die Vertreibung der Mieter aus den Vierteln und für das Recht auf bezahlbaren Wohnraum angekündigt. Im Juni organisierte »Barcelona steht nicht zum Verkauf!«, ein Zusammenschluss aus Stadtteilinitiativen und Mietergewerkschaften, einen Sternmarsch, bei dem mehr als 2.000 Menschen mit Parolen wie »Dies ist kein Tourismus, dies ist eine Masseninvasion!« gegen die schwerwiegenden Konsequenzen protestierten. Auch die antikapitalistische Demonstration am 1. Mai stand unter dem Motto »Tourismus tötet!«

Tatsächlich hat letzteres Motto einen ernsten Hintergrund. Jährlich soll es aufgrund der Luftverschmutzung 650 Todesopfer geben. Während die Stadtregierung zwar den Verkehr zu bestimmten Zeiten einschränken will, werden Kreuzfahrtschiffe nicht zur Verantwortung gezogen. Dabei stoßen allein die 15 größten Seeschiffe der Welt jährlich mehr schädliche Schwefeloxide aus als alle 760 Millionen Autos weltweit.

Weil einzelne Protestgruppen gerne auch mal die Reifen von Touristenbussen oder Mietfahrrädern zerstechen, hat die spanische Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy unterdessen eine Kampagne gegen die sogenannte Touristenphobie gestartet. Denn: In Spanien sorgt der Wirtschaftssektor immerhin für 13 Prozent der Arbeitsplätze. Das sind insgesamt 2,5 Millionen Jobs.

veröffentlicht in jw am 17_8_2017