Weg frei für Katalonien


1,4 Millionen demonstrieren für Unabhängigkeit. Tausende fordern außerdem Solidarität mit Flüchtlingen und Freiheit für politische Gefangene
Nach Polizeiangaben mehr als 1,4 Millionen Menschen haben sich am Freitag, dem katalanischen Nationalfeiertag, an einer Großdemonstration für die Unabhängigkeit ihres Landes von Spanien beteiligt. Die Veranstalter sprachen sogar von zwei Millionen, von denen die Avinguda Meridiana, eine der Hauptverkehrsadern Barcelonas, gefüllt wurde. Mehr als 2.000 Busse hatten die Menschen aus der ganzen Region in die Metropole gebracht. Immer wieder erschallten Sprechchöre für die Unabhängigkeit, doch es gab auch Transparente wie »Refugees welcome« und »Kein Mensch ist illegal«.

In den Reden wurde unter anderem an Salvador Allende erinnert, dessen Sturz durch die Putschisten in Chile sich am Freitag zum 42. Mal gejährt hatte.

Der Nationalfeiertag erinnert an die Niederlage der Katalanen 1714 am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges. Seither ist das Land der Bourbonen-Monarchie unterworfen und Teil des spanischen Staates. In Erinnerung an dieses Datum startete um 17.14 Uhr ein gigantischer, von Sportlern getragener Pfeil vom nördlichen Anfang der Meridiana aus zum katalanischen Parlament am südlichen Ende. Er passierte Abschnitte, in denen die Demonstranten mit verschiedenen Farben verschiedenen Eigenschaften der angestrebten Republik symbolisierten, etwa soziale Gerechtigkeit und internationale Solidarität. Als die Sportler den freigehaltenen Korridor passiert hatten, vereinigten sich die Menschen zu einer großen Demonstration. Trotz des Gedränges blieb die Stimmung ausgelassen und fröhlich. Wer nach Hause wollte, tat gut daran, das zu Fuß zu machen, weil die Metro noch Stunden später überlastet war. Doch das tat der festlichen und optimistischen Stimmung keinen Abbruch, wobei auch in englischer Sprache die Botschaft übermittelt wurde: »Wir wollen unseren eigenen unabhängigen Staat!« Ein Redner betonte, dass es völlig unbedeutend sei, ob in diesem Staat jemand »Sánchez, Rodríguez, Yang oder Schmidt« heiße – »Wir wollen alle zusammenleben!«

Schon vor der Massenmobilisierung hatten weitere Veranstaltungen und Demonstrationen mit internationalistischem und linkem Charakter stattgefunden. So wurde in der Straße Ferran zwischen der Rambla und dem Rathaus von Barcelona mit einer Gedenkveranstaltung an den am 11. September 1978 von der spanischen Polizei erschossenen 16jährigen Aktivisten Gustau Muñoz erinnert. In diesem Jahr richtete sich eine Forderung der Veranstalter direkt an die linke Bürgermeisterin Ada Colau. Sie solle der nach dem Monarchen Ferdinand VII. benannten Straße dem Namen des Getöteten geben, verlangte der Gewerkschafter David Caño. Anschließend setzte sich ein Demonstrationszug mit rund 500 Teilnehmern in Bewegung, an dem sich auch Abordnungen aus Andalusien und dem Baskenland beteiligten.

Simón und María, die in Madrid aktiv in einem Komitee zur Unterstützung politischer Gefangener sind, waren für die Veranstaltungen eigens aus der spanischen Hauptstadt angereist. »Niemand hätte vor Jahren diese Entwicklung für möglich gehalten. Katalonien schreitet nun auf dem Weg zur Unabhängigkeit voran. Das ist gut und wichtig für die sozialen Prozesse im ganzen Staat, weil das Gesamtgefüge Spaniens in Frage gestellt wird«, zeigte sich Simón gegenüber junge Welt optimistisch. Beide beteiligten sich auch mit rund 2.000 weiteren Menschen an einer weiteren Demonstration für die Freilassung politischer Gefangener. Im Mittelpunkt dieser Kundgebung standen zwei junge Katalaninnen. Dolores »Lola« Lopéz wurde als Mitglied der Untergrundorganisation ETA zu 102 Jahren Gefängnis verurteilt, während Marina Bernadó wegen Unterstützung der baskischen Bewegung 17 Jahre absitzen soll.

Am Abend, nach Abschluss der Großkundgebung auf der Meridiana, kamen rund 6.000 Menschen zu einer ausdrücklich antikapitalistischen Demonstration zusammen, zu der die »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP) und andere linke Organisationen aufgerufen hatten. »Ohne Solidarität, Feminismus und Antikapitalismus ist eine Loslösung vom spanischen Staat sinnlos«, lautete der Kern der Botschaft, der am Ende durch die Verbrennung von Fahnen der spanischen Monarchie und der EU bekräftigt wurde.
veröffentlicht in jw am 14_9_2015