Hoffen auf Argentinien

1978 wurde in Barcelona Gustau Muñoz von der Polizei erschossen. Nun liegt der Fall bei der Justiz in Buenos Aires
Gustau Muñoz war erst 16 Jahre alt, als er starb. Ein spanischer Polizist hatte die Kugel abgefeuert, die ihn am 11. September 1978 in Barcelona während einer Demonstration zum katalanischen Nationalfeiertag traf. Muñoz gehörte der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Spaniens (international) an. Die PCE(i), eine Abspaltung der spanischen KP, hatte zu der Kundgebung aufgerufen. Es war die Zeit der »Transición«, des Übergangs von der Diktatur zur parlamentarischen Demokratie. Drei Jahre nach Francisco Francos Tod war Adolfo Suárez gewählter Ministerpräsident Spaniens. Unter seiner Ägide hatte der Kongress gerade das Gesetz 46/1977 verabschiedet, das es untersagte, die Menschenrechtsverletzungen der Diktatur zu untersuchen. Faktisch wurde den politisch Verantwortlichen und den Folterern damit Straffreiheit garantiert.

Der Repressionsapparat funktionierte ungebrochen weiter, um die revolutionäre Bewegung oder Parteien wie die PCE(i), die zumindest in Katalonien eine nicht unerhebliche Rolle spielte, zu zerschlagen. So auch am 11. September 1978, als die Polizei die Demonstration immer wieder attackierte und auf die Teilnehmer schoss. Gegen die Polizisten wurde wegen der tödlichen Schüsse auf Muñoz zwar Anklage erhoben, doch trotz mehrerer Einsprüche seiner Familie wurde das Verfahren 1983 endgültig eingestellt.

Mehr als drei Jahrzehnte später gibt es nun neue Hoffnung auf Gerechtigkeit. Die Angehörigen haben sich der Sammelklage »Argentinien gegen die Verbrechen des Franquismus« angeschlossen. Die »Querella Argentina« wurde am 24. August 2010 von Darío Rivas, dem Sohn des 1936 von den Faschisten ermordeten Bürgermeisters der Ortschaft Castro de Rei, Severino Rivas, in Buenos Aires eingereicht, nachdem der spanische Richter Baltasar Garzón mit seinem Versuch gescheitert war, die Verbrechen des Franquismus aufzuklären. Rivas Mitstreiter Diego Arcos sagte im Gespräch mit junge Welt, die Sammelklage liege derzeit beim argentinischen Bundesgericht unter Vorsitz der Richterin María Romilda Servini. Ihre Entscheidung, das Verfahren anzunehmen, hatte 2010 international für Aufsehen gesorgt. Unterstützt werden die spanischen Opfer von 19 argentinischen Menschenrechtsorganisationen wie den Müttern und Großmüttern der Plaza de Mayo sowie durch die Gewerkschaften.

Marc Muñoz, ein Bruder und ehemaliger Mitstreiter Gustaus, erläuterte im Gespräch mit junge Welt, dass der Familie die Entscheidung nicht leicht gefallen sei, sich der Sammelklage anzuschließen. »Alte Wunden brechen wieder auf«, sagte er. »Dennoch bringt uns die Entscheidung zur Klage Erleichterung.«

Viele Zeugen haben sich bereit erklärt, in dem Verfahren auszusagen. Bei einigen ist die Angst jedoch noch immer so groß, dass sie auch fast 40 Jahre danach nicht aussagen wollen. »Die Verantwortlichen der Verbrechen sollen öffentlich benannt werden und in Zukunft nicht mehr zur Ruhe kommen«, wünscht sich Marc Muñoz. »Die Gespenster, die uns verfolgen, sollen auch sie nicht mehr loslassen.«

Von Madrid ist keine Unterstützung zu erwarten. Im März erklärte die spanische Regierung eine von der argentinischen Justiz an 28 Spanier gerichtete Vorladung für nicht zulässig. Die mutmaßlich an Menschenrechtsverletzungen beteiligten früheren Funktionäre der Diktatur hatten in der argentinischen Botschaft in Madrid Aussagen machen sollen. Als Reaktion darauf erklärte Richterin Servini, alle argentinischen Botschaften und Konsulate weltweit für das Einreichen von Klagen von Opfern des Franquismus und deren Angehörigen zu öffnen. Ob auch die Klage der Familie Muñoz angenommen wird, ist dabei unklar, denn formell fällt der Polizeimord nicht mehr in die Zeit der Diktatur.

Inzwischen umfasst die Sammelklage rund 4.000 Eingaben, darunter Anzeigen, Zeugenaussagen, Forderungen nach Identifikation und Übergabe der sterblichen Reste an die Angehörigen sowie Unterstützungserklärungen. Es wird erwartet, dass die Richterin das Verfahren nach Abschluss der Antragsaufnahme an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag weiterreichen wird.
veröffentlicht in jw am 23_11_2016