In Afrika begreife ich mich als Gast

Es gibt verschiedene Arten, den Kolonialismus fortzusetzen. Ein Gespräch mit Jordi Serrallonga
Sie sind Archäologe, Dozent an der Universität Barcelona und Buchautor. Sie selbst definieren sich jedoch noch weitaus umfassender?

Etikettierungen haben immer etwas sehr Einschränkendes. Ich empfinde mich nicht nur als typischer Wissenschaftler, der Bücher veröffentlicht. Wenn ich nach Afrika reise, um eine Expedition zu leiten, begreife ich mich in erster Linie als Gast.

Und obwohl ich ausgebildeter Archäologe bin, ist für mich die interdisziplinäre Arbeit von wesentlicher Bedeutung.

Neigt die westliche Gesellschaft zur Romantisierung von bestimmten Völkern?

Es gibt verschiedene Arten der Fortführung des Kolonialismus. So fühlen sich viele Europäer den afrikanischen Völkern immer noch überlegen. Das basiert auf einer eurozentristischen Betrachtungsweise. Was nützt uns beispielsweise ein detailliertes Wissen über ein bestimmtes Wissenschaftsfeld, wenn wir nicht in der Lage sind, in der Savanne oder im Urwald zu überleben?

Vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte wollte ich demonstrieren, dass ich nicht zu diesen Ausbeutern gehöre. Gleichzeitig habe ich an mir selbst festgestellt, dass ich mit den Leuten manchmal so sprach wie mit Kindern, weil ich dachte, sie verstehen mich nicht. Dabei hatten sie dieselbe Schulbildung wie ich oder waren auch auf der Universität oder verfügten auch ohne eine bestimme schulische oder universitäre Ausbildung über Weisheit und Wissen.

Die Literatur aus und über andere Länder bezeichnen Sie als eine vernachlässigte und verkannte Sparte.

Sogenannte Reiseliteratur oder auch autochthone Literatur ist von besonderer Wichtigkeit. Sie öffnet den Horizont, ist die Brücke zwischen Kulturen und Völkern, weckt Neugierde, gegenseitiges Interesse, Toleranz und Verständnis. Leider ist diese Art der Literatur unterrepräsentiert. In den normalen Buchläden findet sich kaum etwas davon. Das ist sehr schade, weil sie einen sozialpolitischen und kulturellen Wert hat.

Welche Rolle spielt dabei die Sprache, vor allem die Schriftsprache?

Viele Völker haben Traditionen verloren, die mündlich überliefert wurden. Es gibt keine schriftlichen Dokumente, und durch Kolonialisierung oder andere Faktoren wurde diese Kette unterbrochen. Das ist ein großer Verlust. Die Sprache und vor allem die Schriftsprache sind sehr wichtig. In einer anderen Sprache wird bestimmten Bedeutungen der Sinn und der Gehalt entzogen, weil es keine Wörter dafür gibt.
Jordi Serrallonga, geboren 1969, lehrt an der Universität Barcelona und bezeichnet sich selbst als »Archäologe, Naturforscher, Schriftsteller, Expeditionsleiter, wissenschaftlicher Produzent,…«
veröffentlicht in jw am 23_4_2015