Keine Ausreden mehr

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Hunderttausende protestieren in Barcelona für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen. Konkrete Zusagen bleiben aus.

Nach der Großdemonstration für die Aufnahme von Flüchtlingen am vergangenen Samstag in Barcelona hat die Diskussion um die Konsequenzen begonnen. Wie die Tageszeitung Ara am Montag berichtete, hat die katalanische Regierung Forderungen zurückgewiesen, sich über das Verbot der spanischen Zentralregierung hinwegzusetzen und mehr Menschen Schutz zu gewähren. Die Sprecherin der Generalitat, Neus Munté, erklärte gegenüber Catalunya Ràdio, dass – »leider« – nur die Staaten das Recht hätten, Asyl zu gewähren. Wenn sich Katalonien über die Entscheidungen Madrids hinwegsetze, könne dies die Rechte und den legalen Status der so aufgenommenen Flüchtlinge gefährden. Ein solches Handeln wäre »unverantwortlich«.

Am Samstag waren in Barcelona nach Polizeiangaben 160.000 Menschen gegen die Abschottungspolitik der spanischen Regierung und der EU auf die Straße gegangen. Die Nichtregierungsorganisation »Casa nostra, casa vostra« (Unser Haus, euer Haus), die zu der Aktion aufgerufen hatte, sprach sogar von einer halben Million Menschen und der europaweit größten Demonstration seit Beginn des Erstarkens der Flüchtlingsbewegung. Unter dem Motto »Wir wollen aufnehmen – Schluss mit den Ausreden« forderten die Teilnehmer in der katalanischen Metropole von der Regierung in Madrid, zumindest ihre 2015 gegebenen Zusagen einzuhalten. Der spanische Staat hatte sich gegenüber der EU-Kommission verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren 16.000 Flüchtlinge aufzunehmen – bislang wurde jedoch gerade einmal fünf Prozent davon Aufenthalt in Spanien gewährt.

Der Protestzug war ein Meer aus blau gekleideten Demonstranten mit blauen Schildern. Sie symbolisierten eine Welle, die vom Stadtzentrum bis zum Strand reichte. Angeführt wurde die Demonstration von Migranten und Aktivisten, unter ihnen einer der Mitbegründer der US-amerikanischen Black Panther Party, Bobby Brown. Im zweiten Block folgten Vertreter von Initiativen, die sich hinter einem Transparent »Keine Toten mehr – Grenzen öffnen!« gesammelt hatten.

Die Großdemonstration, die von zahlreichen Flüchtlingsinitiativen, Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Stadtteilinitiativen unterstützt wurde, fand ihren Ausklang am Strand von La Barceloneta, wo die Künstlergruppe »La Fura dels Baus« gemeinsam mit der Initiative »Open Arms« und deren Schiff »Astral« eine Aktion zur Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer simulierte. In Redebeiträgen wurde der Opfer gedacht, die bei ihrer Flucht im Mittelmeer ertrunken sind. Allein im letzten Jahr waren es nach offiziellen Angaben im Schnitt täglich 14 Menschen, die den Versuch, in Sicherheit zu gelangen, mit dem Leben bezahlen mussten. Die Redner verlangten deshalb sichere Fluchtwege und kritisierten die Flüchtlingspolitik des spanischen Staates.

Im Anschluss an die Großdemonstration stellten die Koordinatoren der Kampagne, Ruben Wagensberg und Lara Costafreda, in einem Gespräch mit Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont und Vertretern der Autonomieregierung ihr Sozialprogramm gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vor. Dieses fordert Garantien für würdige Aufnahmebedingungen, einschließlich einer präventiven Kampagne gegen Rassismus. Gleichzeitig sollen die Lebensbedingungen der bereits angekommenen Migranten verbessert werden.

Im vergangenen Jahr registrierte Katalonien 2.200 Asylanträge, gut ein Drittel der Betroffenen kam in das staatliche Aufnahmeprogramm. Dieses ist in drei Phasen gegliedert. Bis zu neun Monate lang haben die Asylsuchenden das Recht auf Unterkunft in einem Flüchtlingsheim. Danach bezuschusst der Staat für maximal 20 Monate eine Mietwohnung mit bis zu 717 Euro monatlich. In der letzten, sechs Monate dauernden Phase findet eine begleitende Assistenz zur Sicherung der gesellschaftlichen Integra­tion statt.

Kritik an dem Programm kommt vor allem von einem Teil der Bewohner des Flüchtlingsheims Casa Bloc in Barcelona, in dem derzeit rund 100 Asylsuchende untergebracht sind. Auf einer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch kritisierten sie, dass viele, die in die zweite Phase des Programms gelangten, noch keine Arbeitserlaubnis erhalten hätten. Das mache es unmöglich, sich finanziell selbst zu versorgen. Doch nicht nur das verursacht Schwierigkeiten bei der Anmietung einer Wohnung. Auch ein von Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz ausgestelltes Dokument, das nur eine dreimonatige finanzielle Unterstützung zusagt, macht die Lage kompliziert, da kaum ein Vermieter ohne ausreichende Garantien eine Wohnung vergeben will.

Gemeinsam mit Flüchtlingsorganisationen wie »Papiere für alle« und dem linken Gewerkschaftsdachverband CGT hatten die Bewohner der Casa Bloc am 12. Februar bereits ein von »Casa nostra – casa vostra« organisiertes Solidaritätskonzert, an dem rund 50 bekannte Künstler teilnahmen, genutzt, um ihren Protest vorzutragen. Vor dem Eingang demonstrierten sie und forderten eine Lösung für ihre Situation. »Wie soll die Aufnahme von Flüchtlingen vonstatten gehen, hinter der wir selbstverständlich stehen, wenn nicht einmal für die 471 Personen, die sich derzeit im Aufnahmeprogramm befinden, würdige Bedingungen geschaffen werden?« fragte eine Sprecherin der Initiative.

veröffentlicht in jw am 21.02.2017